Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Erbringer von Diensten der Informationsgesellschaft. Verpflichtung, Informationen über die wirtschaftliche Situation eines Anbieters von Online-Vermittlungsdiensten bereitzustellen. Koordinierter Bereich. Grundsatz der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat. Ausnahmen. Begriff ‚Maßnahmen betreffen[d] einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft‘. Ziel
Normenkette
Richtlinie 2000/31/EG; VO 1150/2019/EU
Beteiligte
Amazon Services Europe Sàrl |
Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni |
Tenor
Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“)
ist dahin auszulegen, dass
er Maßnahmen entgegensteht, die ein Mitgliedstaat mit dem erklärten Ziel erlassen hat, für eine angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten zu sorgen und nach denen unter Androhung von Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat der Verpflichtung unterliegen, regelmäßig ein Dokument über ihre wirtschaftliche Lage an eine Behörde dieses Mitgliedstaats zu übermitteln, in dem zahlreiche Informationen, u. a. zu den Einnahmen des Anbieters, detailliert aufzuführen sind.
Tatbestand
In der Rechtssache C-665/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 10. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 2022, in dem Verfahren
Amazon Services Europe Sàrl
gegen
Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Amazon Services Europe Sàrl, vertreten durch F. Angeloni, M. Berliri, S. Borocci, G. Gelera und F. Moretti, Avvocati,
- – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Delbono und R. Guizzi, Avvocati dello Stato,
- – der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, T. Suchá und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- – von Irland, vertreten durch M. Browne, Chief State Solicitor, sowie A. Joyce und M. Tierney als Bevollmächtigte im Beistand von D. Fennelly, BL,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, M. Escobar Gómez, S. L. Kalėda und L. Malferrari als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Januar 2024
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (ABl. 2019, L 186, S. 57), der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. 2000, L 178, S. 1), der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 2015, L 241, S. 1), der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36) sowie von Art. 56 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Amazon Services Europe Sàrl (im Folgenden: Amazon), einer Gesellschaft luxemburgischen Rechts, und der Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni (Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen, Italien) (im Folgenden: AGCOM) über von dieser Behörde gegenüber Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten ergriffene Maßnahmen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung 2019/1150
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 3, 7 und 51 der Verordnung 2019/1150 heißt es:
„(3) Die Verbraucher haben sich die Verwendung von Online-Vermittlungsdiensten zu Eigen gemacht. Für das Verbraucherwohl ist darüber hinaus ein wettbewerbsfähiges, faires und transparentes Online-Ökosystem, in dem sich Unternehmen...