Eine Vielzahl von organisierten Freizeitveranstaltungen zeichnet sich dadurch aus, dass sie einerseits auf eine lange Tradition zurückblicken können und damit Teil des örtlichen oder regionalen kulturellen Lebens geworden sind, andererseits aber nur an einigen wenigen Tagen und Nächten im Jahr stattfinden.

 
Praxis-Beispiel

Seltene Störereignisse

Das betrifft etwa traditionsreiche Maifeiern, Faschingsbälle, Kirchweihfeste, Schützenfeste oder Starkbierfeste in Bürgerhäusern, Stadthallen oder Zelten und deren Umgebung sowie traditionelle Jahrmärkte, Stadtteilfeste und Volksfeste sowie Karnevals- und Kirmesveranstaltungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen sowie in angrenzenden Kneipen. In allen diesen Fällen stellt sich die Frage, ob nicht angesichts der Besonderheit dieser Veranstaltungen und ihrer zeitlich begrenzten Dauer eine Ausnahme von der Regel geboten ist und den Anwohnern ein "Mehr" an Lärm zugemutet werden kann.

Seltene Veranstaltungen im Sinne des Immissionsschutzrechts sind aber nicht auf den historisch überkommenen Bestand beschränkt und auch eine überregionale Bedeutung ändert nichts am Charakter einer seltenen Veranstaltung. Nach Ansicht des VG München ist lediglich maßgeblich, dass die Veranstaltungen auch für die örtliche Bevölkerung bestimmt sind und von dieser angenommen werden.[1]

Die Antwort auf diese Frage findet sich bereits ansatzweise in der gesetzlichen Formulierung von § 3 Abs. 1 BImSchG, wonach die Schädlichkeit von Umwelteinwirkungen nicht nur nach deren Art und Ausmaß, sondern auch nach deren Dauer bemessen wird. Somit ist schon von der gesetzlichen Definition der schädlichen Umwelteinwirkungen her die Dauer von Belästigungen für deren Erheblichkeit mit entscheidend.

[1] VG München, Urteil v. 15.1.2019, M 16 K 17.2157.

5.2.1 Freizeitlärmrichtlinie

Diese gesetzliche Vorgabe wird in Nr. 4.4 der Freizeitlärmrichtlinie dahingehend konkretisiert, dass für Veranstaltungen im Freien und/oder in Zelten bei sog. "seltenen Veranstaltungen mit hoher Standortgebundenheit oder sozialer Adäquanz und Akzeptanz" höhere Lärmrichtwerte zulässig sind.

Voraussetzungen für die Annahme eines Sonderfalls sind

  • eine hohe Standortgebundenheit oder soziale Adäquanz und Akzeptanz der Veranstaltung und
  • eine zahlenmäßig eng begrenzte Durchführung.

Hohe Standortgebundenheit

Eine hohe Standortgebundenheit ist stets dann zu bejahen, wenn die Veranstaltung einen besonderen örtlichen oder regionalen Bezug hat. Die Freizeitlärmrichtlinie führt als Beispiele in Nr. 4.4.1 die "Kieler Woche" oder den "Hessentag" an, ebenso wie Konzerte in exponierter Innenstadtlage.

Soziale Adäquanz und Akzeptanz

Für die Annahme einer sozialen Adäquanz und Akzeptanz muss die Veranstaltung eine soziale Funktion und Bedeutung haben. Hier führt die Freizeitlärmrichtlinie als Beispiele Jugend- und Folklorefestivals an oder von einem Großteil der Anwohner akzeptierte Veranstaltungen wie z. B. den Karneval der Kulturen in Berlin.

In jedem dieser Sonderfälle prüft die zuständige Behörde die Unvermeidbarkeit und Zumutbarkeit der zu erwartenden Immissionen. Unter anderem soll die Anzahl der Tage (24 Stunden-Zeitraum) mit seltenen Veranstaltungen 18 Tage pro Kalenderjahr nicht überschreiten und die Geräuschspitzen sollen Werte von 90 dB(A) tags und 65 dB(A) nachts einhalten.

Im Regelfall orientieren sich die Gerichte bei seltenen Störereignissen an diesen erhöhten Lärmrichtwerten.[1]

Bei sehr seltenen Störereignissen, die nur einmal im Jahr an einem oder nur an wenigen Tagen stattfinden, aber für den Zusammenhalt der örtlichen Gemeinschaft von großer Bedeutung sind, akzeptieren die Gerichte auch eine Überschreitung der erhöhten Lärmrichtwerte. Dies betrifft vor allem die Nachtstunden ab 22 Uhr, in denen noch ein Lärmrichtwert bis 70 dB(A) anstelle des Werts von 55 dB(A) toleriert wird, wenn es dem Charakter oder der Tradition einer Veranstaltung entspricht, dass sie bis in die Abend- oder Nachtstunden andauert. Dies alles gilt nach Meinung der Gerichte aber nur bis 24 Uhr. Dann muss Schluss sein.[2]

 
Hinweis

Freizeitlärmrichtlinie auch für Beurteilung geschlossener Räume

Nach dem VGH Baden-Württemberg ist die Sonderfallbeurteilung bei seltenen Veranstaltungen nach Ziff. 4.4 der Freizeitlärmrichtlinie in der Fassung vom 6.3.2015 nicht nur für Veranstaltungen im Freien oder in Zelten anzuwenden. Sie kann als Orientierungshilfe auch für seltene Veranstaltungen in geschlossenen Gebäuden herangezogen werden.[3]

[2] Vgl. BGH, Urteil v. 26.9.2003, V ZR 41/03, UPR 2004 S. 31 (Rockkonzert); VGH Kassel, Urteil v. 25.2.2005, 2 UE 2890/04, NVwZ 2006 S. 531 und BayVGH, Beschluss v. 22.11.2005, 22 ZB 05.2679 (Volksfest); OVG Koblenz, Urteil v. 14.9.2004, 6 A 10949/04, DVBl 2005 S. 260 (Karneval- und Kirmesveranstaltungen); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 25.5.2016, 4 B 581/16 (Jugendtanzveranstaltung im Rahmen eines traditionellen Schützenfestes).
[3] VGH Baden-Württemberg, Urt...

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