Die Frage nach dem Eigentum am Überbau ist nicht nur von rein theoretischer Bedeutung. Denn von ihrer Beantwortung hängt es ab, wer den Überbau einerseits nutzen darf und wer andererseits die Lasten (etwa Erhaltungsaufwand) zu tragen hat.
Wer Eigentümer des über die Grenze gebauten Überbaus ist, regelt § 912 BGB nicht. Es gelten daher die allgemeinen Bestimmungen der §§ 93, 94, 95 und 946 BGB. Soweit der Eigentümer des Stammgrundstücks die Duldung seines Überbaus durch den Nachbarn verlangen kann, unterliegt der hinübergebaute Gebäudeteil nach der Rechtsprechung nicht der Grundregel der §§ 94 Abs. 1, 946 BGB (lotrechte Eigentumsteilung an der Grundstücksgrenze), sondern es tritt entsprechend § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB die Wirkung ein, dass er als Scheinbestandteil des überbauten Grundstücks gemäß den §§ 93, 94 Abs. 2 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks bleibt, von dem aus überbaut wurde und damit das Eigentum am Überbau dem Eigentümer des sog. Stammgrundstücks zusteht. Das gilt auch für den Eigengrenzüberbau und bei der Teilung eines einheitlichen Grundstücks in der Weise, dass die neue Grenze durch ein Gebäude verläuft.
Eigentumszuordnung
Die Eigentumszuordnung setzt voraus, dass es sich insgesamt um ein einheitliches Gebäude handelt und eines der Grundstücke als Stammgrundstück angesehen werden kann, von dem aus der Überbau vorgenommen wurde. Hierzu hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt:
- Für den Normalfall, dass sich das Gebäude auf Grundstücken verschiedener Eigentümer befindet, kommt es darauf an, wer nach der Verkehrsanschauung "Geschäftsherr des Bauvorhabens" ist, das heißt, in wessen Namen und wirtschaftlichem Interesse gebaut wurde. Diesen Grundsatz hat der BGH für die Beantwortung der Frage, von welchem Grundstück aus über eine fremde Grenze gebaut wurde, dahin fortentwickelt, dass es allein darauf ankommt, welche Absichten und wirtschaftlichen Interessen den Erbauer geleitet hätten, ohne dass daneben der handwerkliche Bauablauf und die Größe oder die Wichtigkeit des überbauten Gebäudeteils im Verhältnis zu dem auf dem Grundstück des Erbauers liegenden "Stammteil" eine Rolle spielen. Indizien für die maßgeblichen Absichten des Erbauers können bestimmte objektive Gegebenheiten sein, so etwa die wirtschaftliche Interessenlage, die Zweckbeziehung des überbauten Gebäudeteils und die räumliche Erschließung nur durch einen Zugang.
- Wird das Gebäude auf einem einheitlichen Grundstück errichtet und dieses erst später geteilt, so ist eine unmittelbare Anknüpfung an die Absichten des Erbauers praktisch nicht möglich. In diesem Sonderfall kann die Zuordnung des Eigentums deshalb nur an objektive Kriterien anknüpfen. Bei natürlicher Betrachtungsweise erscheint es dann sachgerecht, als Stammgrundstück das Grundstück anzusehen, auf dem sich nach Umfang, Lage und wirtschaftlicher Bedeutung der eindeutig maßgebende Gebäudeteil befindet.
- Auch für den Fall des Eigengrenzüberbaus wird eine unmittelbare Anknüpfung an die Absichten des Erbauers nicht immer möglich sein. Doch können sich diese Absichten aus den objektiven Gegebenheiten erschließen. Hat sich der Erbauer nicht anders geäußert, kann vermutet werden, dass die objektiven Gegebenheiten seinen Absichten entsprechen. Wenn etwa ein Zugang zu dem überbauten Gebäude nur von einem Grundstück aus vorhanden ist, spricht die Vermutung dafür, dass dieses Grundstück das Stammgrundstück ist.
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für den entschuldigten (rechtmäßigen) Überbau gelten auch für Wohnungs- und Teileigentum und damit vor allem auch für Wohnungseigentumsanlagen.
Unrechtmäßiger Überbau
Den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist gemeinsam, dass er Fallgestaltungen betrifft, in denen der Überbau von der Rechtsordnung nicht missbilligt wird, sondern (eventuell gegen Zahlung einer Geldrente) hingenommen werden muss. In diesen Fällen ist für die Zerschlagung der durch den Überbau gebildeten wirtschaftlichen Einheit in der Tat kein Bedürfnis zu erkennen. Dagegen bleibt es nach der Rechtsprechung des BGH bei der Realteilung lotrecht an der Grundstücksgrenze, wenn die Rechtsordnung den Überbau missbilligt, wie dies beim unrechtmäßigen Überbau (vorsätzlich oder grob fahrlässig oder trotz rechtzeitigen Nachbarwiderspruchs begangen) der Fall ist. Hier gehört das Eigentum am Überbau dem Nachbarn, indem das Eigentum am überbauten Bauwerk lotrecht an der Grenze geteilt wird (§§ 94 Abs. 1, 946 BGB). Der Nachbar muss allerdings den Überbau nicht dulden, sondern kann seine Beseitigung verlangen (§§ 93, 1004 Abs. 1 BGB).