Nach ständiger Rechtsprechung des BGH haben die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Bundesländer eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Auch auf diese Regelung ist aber nach Auffassung des Gerichts der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden. Daraus folgt – so das Gericht – für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall man unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammenfasst. Eine solche Pflicht zur Rücksichtnahme muss zwar mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme bleiben und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzlichen Regelungen hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Wenn diese Bedingungen aber vorliegen, kann nach Meinung des BGH die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Abwehrrechte ganz oder teilweise unzulässig werden und eine Duldungspflicht des Nachbarn, dessen Grundstück für Bau-, Instandsetzungs- und Unterhaltungsarbeiten auf dem eigenen Grundstück in Anspruch genommen werden soll, begründen. So i. E. auch OLG Köln, wenn andernfalls keine technische Möglichkeit zur Realisierung von Bauarbeiten besteht.
Rückgriff auf nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis
Unter Bezugnahme auf die Grundsätze des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses hat das OLG Stuttgart eine Pflicht zur Duldung der Baugrubensicherung für ein tiefer gelegenes Grundstück durch eine im Untergrund der höher gelegenen Grundstücke rückverankerte Bohrpfahlwand bejaht. In diesem Zusammenhang hat das Gericht festgestellt, dass das in § 7d NRG BW geregelte Hammerschlags- und Leiterrecht keine Duldungspflicht der betroffenen Grundstückseigentümer für eine derartige Maßnahme begründen kann, weil es nur das Betreten eines Nachbargrundstücks und das Aufstellen von Gerüsten und Geräten auf dem Nachbargrundstück erlaubt und eine erweiternde Auslegung der gesetzlichen Vorschrift als Eingriffstatbestand rechtlich nicht möglich ist.
Ebenfalls unter Berufung auf die Grundsätze des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses hat das AG Michelstadt eine Pflicht des Grundstücksnachbarn bejaht, das Betreten seines Grundstücks durch den angrenzenden Grundstückseigentümer zu gestatten, um eine Grenzhecke auf der der Grundstücksgrenze zugewandten Seite beschneiden zu können, was vom eigenen Grundstück aus nicht möglich war. Ein Rückgriff auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis war in diesem Fall deshalb notwendig geworden, weil das NachbG von Hessen ein Hammerschlags- und Leiterrecht nur im Zusammenhang mit Bau-, Instandsetzungs- und Unterhaltungsarbeiten an baulichen Anlagen regelt.
Ohne Rückgriff auf die Grundsätze des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses kann es vor allem bei der Errichtung von Grenzwänden und deren Isolierung unterhalb der Erdoberfläche zu unlösbaren Problemen kommen, wenn es rechtlich nicht zulässig wäre, einen Grundstücksstreifen auf Nachbargrund zu diesem Zweck vorübergehend auszuheben. Das OLG Düsseldorf hat jedenfalls für den Geltungsbereich des NachbG Nordrhein-Westfalen eine Duldungspflicht des Nachbarn zum Ausheben eines 2,10 m breiten Grenzstreifens als Arbeitsraum für die Errichtung einer baurechtlich genehmigten Grenzgarage auf dem angrenzenden Grundstück verneint. Zur Begründung meint das Gericht, dass die im Zusammenhang mit der gesetzlichen Normierung des Hammerschlags- und Leiterrechts in Nordrhein-Westfalen getroffene Regelung, bei dessen Ausübung das Nachbargrundstück "benutzt" werden dürfe, nicht bedeutet, dass in seine Substanz eingegriffen werden darf.
Bremen und Mecklenburg-Vorpommern
Es versteht sich von selbst, dass man sich in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, in denen eine landesgesetzliche Regelung des Hammerschlags- und Leiterrechts fehlt, ausschließlich mit den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses behelfen muss, um die mit dem Hammerschlags- und Leiterrecht der anderen Bundesländer geregelten Rechtsfragen lösen zu können.