Haufe-Lexware GmbH & Co. KG Redaktion
1 Leitsatz
Ein hohes Lebensalter des Mieters allein reicht nicht aus, um nach einer Kündigung wegen Eigenbedarfs die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen zu können.
2 Normenkette
§ 574 Abs. 1 Satz 1 BGB
3 Das Problem
Die Vermieterin einer Wohnung verlangt von der 88-jährigen Mieterin die Räumung. Im Jahr 2015 hatte die Vermieterin eine Kündigung wegen Eigenbedarfs erklärt. Das Mietverhältnis besteht seit 1997, das Vorliegen des Eigenbedarfs ist unstrittig.
Die Mieterin und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann hatten der Kündigung widersprochen. Sie verwiesen auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel.
Das LG Berlin hat die Räumungsklage abgewiesen und den Mietern einen Anspruch auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB zugesprochen. Bei einer nicht auf einer Pflichtverletzung des Mieters beruhenden Kündigung gebiete das als Härtegrund eingewandte hohe Alter des Mieters in der Regel eine Fortsetzung des Mietverhältnisses, auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters.
4 Die Entscheidung
Der BGH hebt das Urteil des Landgerichts auf und verweist den Rechtsstreit dorthin zurück. Die Mieterin kann nicht schon allein wegen ihres hohen Alters eine Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen.
Zwar kann das hohe Lebensalter eines Mieters in Verbindung mit weiteren Umständen – im Einzelfall auch der auf einer langen Mietdauer beruhenden tiefen Verwurzelung des Mieters in seiner Umgebung – eine Härte begründen. Insbesondere kann eine Härte zu bejahen sein, wenn zum hohen Lebensalter und einer Verwurzelung aufgrund langer Mietdauer Erkrankungen des Mieters hinzukommen, aufgrund derer einer Verschlechterung des Gesundheitszustands zu erwarten ist, wenn der Mieter aus seiner Wohnumgebung herausgelöst wird. Lässt der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zu oder besteht im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des erkrankten Mieters, kann sogar allein dies einen Härtegrund darstellen.
Allerdings ist es weder mit Blick auf den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbrieften Schutz älterer Menschen noch unter Berücksichtigung des Schutzes der Menschenwürde geboten, das hohe Alter eines Mieters in Verbindung mit einer langen Mietdauer unabhängig von den sich aus einem erzwungenen Wohnungswechsel konkret ergebenden Folgen als Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen. Vielmehr muss im Einzelfall festgestellt werden, welche Auswirkungen ein Umzug für den betroffenen Mieter aufgrund seiner individuellen Lebenssituation, insbesondere seines gesundheitlichen Zustands, hätte. Hierüber wird regelmäßig ein Sachverständigengutachten einzuholen sein.
Zudem stellt der BGH klar, dass eine langjährige Mietdauer für sich genommen noch nicht auf eine tiefe soziale Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen lässt. Vielmehr hängt deren Entstehung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab, namentlich davon, ob er beispielsweise soziale Kontakte in der Nachbarschaft pflegt, Einkäufe für den täglichen Lebensbedarf in der näheren Umgebung erledigt, an kulturellen, sportlichen oder religiösen Veranstaltungen in der Nähe seiner Wohnung teilnimmt und/oder medizinische oder andere Dienstleistungen in seiner Wohnumgebung in Anspruch nimmt.
5 Hinweis
Mit der Entscheidung knüpft der BGH an mehrere Urteile aus dem Jahr 2019 an. Darin hatte der BGH klargestellt, dass sich für die Frage, ob ein Härtefall vorliegt, keine allgemeinen Fallgruppen, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters, bilden lassen (BGH, Urteile v. 22.5.2019, VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17). Vielmehr sei in jedem Einzelfall eine sorgfältige Prüfung erforderlich, ob ein Härtefall vorliegt.
6 Entscheidung
BGH, Urteil v. 3.2.2021, VIII ZR 68/19