Zusammenfassung

 
Überblick

Die Sammlung und Ableitung der Abwässer im Kanalnetz einer Gemeinde obliegt der Kommune als öffentliche Aufgabe, die sie im Rahmen schlicht-hoheitlicher Verwaltung wahrnimmt. Damit ist die Gemeinde für die Planung, Herstellung und Unterhaltung einer solchen Anlage verantwortlich.

Immer wieder kommt es vor, dass schadhafte oder für anfallende Regenmengen nicht ausreichend dimensionierte Rohrleitungssysteme der gemeindlichen Kanalisation Überschwemmungsschäden auf angrenzenden Hausgrundstücken verursachen und Keller unter Wasser setzen.

In derartigen Fällen stellt sich naturgemäß die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Gemeinde für derartige Schäden haftbar gemacht werden kann. Der BGH hat hierzu ins Einzelne gehende Grundsätze entwickelt.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

Anspruchsgrundlagen für Schadensersatzansprüche wegen Überschwemmungsschäden durch eine gemeindliche Kanalisation sind zum einen § 2 Abs. 1 Satz 1 Haftpflichtgesetz und zum anderen die Amtshaftung der Gemeinde nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG.

Außerdem kommt nach der Rechtsprechung des BGH eine Haftung der Gemeinde aus enteignendem Eingriff in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in Betracht.

Schließlich kann sich nach der Rechtsprechung des BGH eine gemeindliche Haftung aus einer Verletzung des zwischen der Gemeinde und dem einzelnen Anschlussnehmer bestehenden öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses ergeben, die auch eine Haftung für Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB zu begründen vermag.

1 Technische Anforderungen an die Leistungsfähigkeit einer Abwasserkanalisation

In erster Linie hat sich der BGH sehr eingehend mit der technischen Ausgestaltung kommunaler Abwasserkanalisationen im Hinblick auf ihre Kapazität bei starken Regenfällen befasst.

Nach seiner ständigen Rechtsprechung[1] hierzu dürfen bestehende technische Regelwerke für die Ausgestaltung und Leistungsfähigkeit kommunaler Abwasserkanalisationen nicht schematisch angewendet werden. Vielmehr kommt es seiner Meinung nach bei der Planung und Dimensionierung eines Entwässerungssystems entscheidend auf die tatsächlichen Verhältnisse, namentlich in wasserwirtschaftlicher und abwassertechnischer sowie topografischer Hinsicht an. Das bedeutet, dass auch die Geländeverhältnisse und die möglichen Fließwege des Wassers bei Austritt aus den Einläufen zu beachten sind.

Aus der Sicht der betroffenen Grundstückseigentümer, auf deren Schutz die Anlage auch ausgelegt sein muss, ist nach Meinung des Gerichts die "Überstauungshäufigkeit", also der Anstieg des Wasserspiegels bis auf Geländehöhe, als Maßstab für die Leistungsfähigkeit einer Abwasserkanalisation geeigneter als die Regenhäufigkeit.[2]

 
Wichtig

5-jähriger Berechnungsregen

Der BGH hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass eine gemeindliche Abwasserkanalisation jedenfalls dann unzureichend ist, wenn sie lediglich auf einen einjährigen Berechnungsregen ausgelegt ist. Damit sei der Schutz der Anlieger nicht hinreichend gewährleistet, weil sie im Extremfall hinnehmen müssten, einmal jährlich einer Überschwemmung ausgesetzt zu sein. Stattdessen hat er im konkreten Fall das vom Berufungsgericht gefundene Ergebnis, die Anlage hätte mindestens auf einen 5-jährigen Berechnungsregen ausgelegt sein müssen, als zutreffend bezeichnet.[3]

Andererseits betont der BGH, dass eine Gemeinde nicht verpflichtet ist, ihr Kanalnetz so einzurichten, dass alle denkbaren Niederschlagsmengen bewältigt werden. Wirtschaftliche Gründe würden jede Gemeinde dazu zwingen, das Fassungsvermögen ihrer Kanalisation nicht so zu bemessen, dass es auch für ganz selten auftretende, außergewöhnliche Regenfälle ausreicht.[4]

 
Wichtig

Keine Auslegung des Kanalnetzes auf katastrophenartige Unwetter

Eine Dimensionierung des kommunalen Kanalnetzes im Hinblick auch auf katastrophenartige Unwetter, wie sie erfahrungsgemäß nur in sehr großen Zeitabständen vorkommen, ist nach Auffassung des BGH jedenfalls nicht erforderlich.[5]

[1] Vgl. BGH, Urteil v. 5.10.1989, III ZR 66/88, DVBl 1990 S. 431; BGH, Urteil v. 11.12.1997, III ZR 52/97, NJW 1998 S. 1307; BGH, Urteil v. 18.2.1999, III ZR 272/96, UPR 1999 S. 220; vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss v. 4.1.2011, 9 LA 130/10, NJW 2011 S. 1159.
[2] Vgl. BGH, Urteil v. 5.10.1989, III ZR 66/88, DVBl 1990 S. 431.
[3] So BGH, Urteil v. 11.12.1997, III ZR 52/97, NJW 1998 S. 1307.
[4] Vgl. BGH, Urteil v. 5.10.1989, a. a. O.
[5] So BGH, Urteil v. 5.10.1989, a. a. O.; BGH, Urteil v. 22.4.2004, III ZR 108/03, MDR 2004 S. 875.

2 Haftungsfragen

Welcher Haftungstatbestand bei Überschwemmungsschäden durch eine kommunale Abwasserkanalisation in Betracht zu ziehen ist, hängt ab von der Schadensursache und dem Schadensverlauf.

2.1 Gefährdungshaftung

Als erstes ist die Gefährdungshaftung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Haftpflichtgesetz (HaftPflG) in den Blick zu nehmen, weil sie keinen Verschuldensnachweis erfordert. Dieser Haftungstatbestand wird auch Wirkungshaftung genannt, weil die durch die öffentliche Kanalisation verursachten Überschwemmungen auf den Wirkungen des in den Kanalrohren transportierten Wassers beruhen.

Obwohl die A...

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