Leitsatz (amtlich)

Zu den nach Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB (in Kraft seit 11.06.2010) in den Vertrag aufzunehmenden Informationen über das Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen gehört eine ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten. Eine Postfachanschrift genügt somit (abweichend von den Anforderungen an eine Widerrufsbelehrung nach dem vor dem 11.06.2010 geltenden Recht) nicht, sondern es ist die Angabe einer Straße, Hausummer und Postleitzahl erforderlich.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 4 O 57/16)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

 

Gründe

A. Die Kläger schlossen mit der Beklagten am 12./22.07.2011 einen Immobiliardarlehensvertrag über 120.000 EUR (End-Nr. -661) und am 18./22.07.2011 einen sog. KfW-Kreditvertrag über 70.000 EUR. Nachdem sie am 27.10.2015 die Verträge einschließlich Vorfälligkeitsentschädigung abgelöst hatten, haben sie ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen mit Schreiben vom 02.11.2015, der Beklagten zugegangen am 04.11.2015, widerrufen.

Die Parteien haben erstinstanzlich über die Wirksamkeit des Widerrufs und einen mit der Klage verfolgten Rückzahlungsanspruch von 26.329,55 EUR sowie Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gestritten. Mit Urteil vom 19.04.2017, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage in Höhe von 23.280,55 EUR (Rückgewähranspruch für das Darlehen Nr. -661 von 10.814,33 EUR und für das KfW-Darlehen von 12.466,22 EUR) nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, soweit sie zur Zahlung von 10.814,33 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Die Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor:

Die Berufung richte sich nur dagegen, dass das Landgericht in Bezug auf das Darlehen Nr. -661 einen wirksamen Widerruf bejaht habe.

Die Kläger hätten insoweit keinen Anspruch nach §§ 495 Abs. 1, 355 Abs. 1 S. 1, 357 Abs. 1 S. 1, 346 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB - jeweils a.F.-. Zwar habe ihnen ein Widerrufsrecht nach §§ 495 Abs. 1, 355 Abs. 1 S. 1 BGB zugestanden, weil es sich um ein Verbraucherdarlehen i.S. von § 491 Abs. 1 BGB gehandelt habe. Jedoch sei die Widerrufsfrist von 14 Tagen bei Ausübung des Widerrufsrechts abgelaufen gewesen.

Die Widerrufsinformation zum Darlehen -661 habe den Anforderungen einer klaren und verständlichen Darstellung i.S. von Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB genügt. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei die Angabe einer "ladungsfähigen Anschrift" nicht erforderlich gewesen. Die Vorschrift des § 360 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BGB (idF vom 11.06.2010 bis 12.06.2014), wonach die "Widerrufsbelehrung" eine ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten enthalten müsse, finde keine Anwendung auf verbraucherkreditrechtliche Widerrufsrechte nach § 495 Abs. 1 BGB. Dies folge aus § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB, wonach "an die Stelle der Widerrufsbelehrung" die Pflichtangaben nach Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB treten. Der Gesetzgeber selbst habe klargestellt (BT-DrS 16/11643, S. 83), dass die in § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB angeordnete Modifikation der §§ 355 bis 359a BGB einen Ausschluss des § 360 BGB bedeute und dessen Nichtanwendbarkeit zur Folge habe.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß), unter Abänderung des am 19.04.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin -4 O 57/16- den Entscheidungstenor zu 1 des Landgerichtsurteils dahin neu zu fassen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Kläger als Gesamtgläubiger 12.466,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.11.2015 ≪gemeint offenbar: 28.11.2015 ≫ zu zahlen, und die Klage im Übrigen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen, sowie im Wege der Anschlussberufung (sinngemäß), unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts die Beklagte zu verurteilen, an sie als Mitgläubiger weitere 1.161,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2015 zu zahlen.

Die Kläger tragen vor:

Zwar sei die Anwendung von § 360 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BGB auf Verbraucherdarlehensverträge durch § 495 Abs. 2 BGB ausgenommen. Dies bedeute jedoch nur, dass für diese Verträge keine separate Widerrufsbelehrung mehr zu erfolgen habe, sondern aus Gründen der Vollharmonisierung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen nunmehr unmittelbar im Vertrag enthalten sein müssten. Die Frage, wie die Widerrufsinformation gestaltet sein müsse, sei damit jedoch nicht entschieden. Dass der Gesetzgeber eine Widerrufsinformation unter Angabe einer ladungsfähigen Anschrift fordere und diese zu den nach Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB genannten "Umständen für die Erklärung des Widerrufs" gehörten, ergebe sich aus BT-DrS 16/11643 S. 123 und 128. Ferner habe der Gesetzgeber mit dem Gestaltungshinweis Nr. 3 zur Musterbelehrung in Anlage 6 zu Art. 247 EGBGB, wonach eine ladungsfähige Anschrift anzugeben sei, seinen Willen zum Ausdruck gebra...

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