Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung einer unfallbedingten HWS-Verletzung allein auf der Grundlage des Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 58 O 166/06) |
Tenor
1. Es wird gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass der Senat nach Vorberatung beabsichtigt, die Berufung der Beklagten durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.
2. Die Beklagten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu binnen drei Wochen.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
I. Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
II. Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.
1. Das LG ist rechtsfehlerfrei nach Beweisaufnahme (Gutachten Prof. Dr. W. vom
21.12.2006 mit ergänzender Stellungnahme vom 30.1.2007) zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin bei dem Unfall vom 30.8.2005 eine leichte Distorsion der Halswirbelsäule als Primärverletzung (§ 286 ZPO) erlitten hat und dies zu einer abgestuften Minderung der Fähigkeit, den Haushalt zu führen, geführt hat (§ 287 ZPO). Der Senat gelangt zu demselben Ergebnis.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten war es nicht erforderlich, ein Unfallrekonstruktionsgutachten einzuholen.
So entspricht es nicht der Praxis des Senats, in sämtlichen Fällen, in denen es um ein HWS-Syndrom geht, eine Unfallrekonstruktion zu veranlassen. Der Senat hat lediglich mehrfach entschieden, dass jedenfalls ein medizinisches Gutachten erforderlich ist und nicht allein nach Einholen eines technischen Gutachtens eine HWS-Verletzung ausgeschlossen werden kann (vgl. KG, Urt. v. 9.5.2005 - 12 U 14/04, NZV 2005, 470 = DAR 2005, 621 = VM 2005, 76 Nr. 64; v. 19.9.2005 - 12 U 288/01, NZV 2006, 145 = VersR 2006, 1233).
Auch nach der Rechtsprechung des 22. Zivilsenat des KG ist das Einholen eines technischen Rekonstruktionsgutachten in "HWS-Fällen" nicht zwingend (vgl. nur Urt. v. 3.9.2007 - 22 U 196/06, KGReport Berlin 2007, 1032).
Dagegen hat das LG auf S. 5 des angefochtenen Urteils zutreffend dargestellt, dass ein Unfallrekonstruktionsgutachten dann notwendig ist, wenn die dadurch gewonnenen Erkenntnisse in irgendeiner Weise beweisrelevant oder für den medizinischen Sachverständigen hätten hilfreich sein können. So ist ein Unfallrekonstruktionsgutachten aus beweisrechtlichen Gründen einzuholen, wenn der Anspruchsteller hinreichend darlegt, die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung habe 15 km/h oder mehr betragen; gelingt ihm dieser Beweis, spricht nach ständiger Rechtsprechung des Senats der erste Anschein dafür, dass eine festgestellte HWS-Distorsion auf den Unfall zurückgeht (vgl. KG KGReport Berlin 2006, 128).
Im Hinblick auf die - bereits vom LG in seinem Beschluss vom 30.10.2006 herangezogene - Entscheidung des BGH v. 28.1.2003 - VI ZR 139/02, der eine "Harmlosigkeitsgrenze" abgelehnt hat (VersR 2003, 474 = NJW 2003, 1116 = MDR 2003, 566), kommt eine Unfallrekonstruktion nicht schon deshalb in Betracht, um der Behauptung eines Anspruchsgegners nachzugehen, die geklagte Verletzung könne angesichts der geringen Differenzgeschwindigkeit nicht durch den Unfall verursacht worden sein.
Vielmehr kommt es für den Umfang der Begutachtung stets auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. auch KG, 22. KG, Urteil vom 3.9.2007, - 22 U 196/06, KGReport Berlin 2007, 1032).
b) Danach musste das LG im vorliegenden besonderem Einzelfall kein Unfallrekon-struktionsgutachten einholen.
Die Klägerin hat nicht nur keinen Sachverhalt vorgetragen, aus dem ein Anscheinsbeweis zu ihren Gunsten abzuleiten ist, sondern im Gegenteil im Schriftsatz vom 18.10.2006 ausdrücklich dargelegt, sie wolle nicht "ins Blaue hinein" Geschwindigkeitsänderungen behaupten.
Die Ausführungen der Beklagten, die - ausdrücklich unstreitige - Kollision sei so schwach gewesen, dass es "nicht plausibel" sei, dass die Klägerin durch die leichte Berührung der Fahrzeuge die von ihr behaupteten Verletzungen erlitten habe (Schriftsatz vom 18.8.2006, S. 2), sind im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung des BGH zur nicht existenten "Harmlosigkeitsgrenze" unerheblich.
Zur Klärung der Unfallfolgen war nach den konkreten Umständen ein Rekonstruktionsgutachten nicht erforderlich.
Der Sachverständige Prof. Dr. W hat sich unter Berücksichtigung der von der Klägerin unter Vorlage ärztlicher Dokumente angegebenen gesundheitlichen Vorschäden und behaupteten Unfallfolgen durch eine ausführliche Untersuchung ein Bild vom Gesundheitszustand der Klägerin gemacht und ist zu der Erkenntnis gelangt, die Klägerin habe bei dem Unfall eine leichte bis unterhalb mittelgradige Distorsion der Halswirbelsäule erlitten (Gutachten S. 14). Dabei hat er ausdrücklich auf die besondere Empfi...