Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu Auslegung von Art. 102 AEUV und der Richtlinie 2001/14/EG
Leitsatz (amtlich)
1. Ist es mit der Richtlinie 2001/14/EG - insbesondere ihren Bestimmungen zur Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Infrastrukturunternehmens (Art. 4), zu den Grundsätzen der Entgeltfestsetzung (Art. 7 bis 12) und zu den Aufgaben der Regulierungsstelle (Art. 30) - vereinbar, wenn innerstaatliche Zivilgerichte im Einzelfall und unabhängig von der Überwachung durch die Regulierungsstelle die Höhe der verlangten Entgelte nach den Maßstäben von Art. 102 AEUV und/oder des nationalen Kartellrechts überprüfen?
2. Wenn Frage 1 zu bejahen sein sollte: Ist eine Missbrauchskontrolle durch die innerstaatlichen Zivilgerichte nach den Maßstäben von Art. 102 AEUV und/oder des nationalen Kartellrechts auch dann zulässig und geboten, wenn für die Eisenbahnverkehrsunternehmen die Möglichkeit besteht, eine Überprüfung der Angemessenheit gezahlter Entgelte durch die zuständige Regulierungsstelle zu erreichen? Sind die innerstaatlichen Zivilgerichte gehalten, eine entsprechende Entscheidung der Regulierungsbehörde und, sofern diese gerichtlich angefochten wird, gegebenenfalls deren Bestandskraft abzuwarten?
Normenkette
AEUV Art. 102, 267; Richtlinie 2001/14/EG
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 16 O 29/11 Kart) |
Tenor
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 102 AEUV und der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung folgende Fragen vorgelegt:
Ist es mit der Richtlinie 2001/14/EG - insbesondere ihren Bestimmungen zur Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Infrastrukturunternehmens (Art. 4), zu den Grundsätzen der Entgeltfestsetzung (Art. 7 bis 12) und zu den Aufgaben der Regulierungsstelle (Art. 30) - vereinbar, wenn innerstaatliche Zivilgerichte im Einzelfall und unabhängig von der Überwachung durch die Regulierungsstelle die Höhe der verlangten Entgelte nach den Maßstäben von Art. 102 AEUV und/oder des nationalen Kartellrechts überprüfen?
Wenn Frage 1 zu bejahen sein sollte: Ist eine Missbrauchskontrolle durch die innerstaatlichen Zivilgerichte nach den Maßstäben von Art. 102 AEUV und/oder des nationalen Kartellrechts auch dann zulässig und geboten, wenn für die Eisenbahnverkehrsunternehmen die Möglichkeit besteht, eine Überprüfung der Angemessenheit gezahlter Entgelte durch die zuständige Regulierungsstelle zu erreichen? Sind die innerstaatlichen Zivilgerichte gehalten, eine entsprechende Entscheidung der Regulierungsbehörde und, sofern diese gerichtlich angefochten wird, gegebenenfalls deren Bestandskraft abzuwarten?
II. Das Berufungsverfahren wird bis zur Beantwortung der Vorlagefragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union ausgesetzt.
Gründe
I. Die beklagte X AG, eine Tochtergesellschaft der Y AG, ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG). Sie unterhält etwa 5.400 Bahnhöfe (Verkehrsstationen) in Deutschland. Die Klägerin betreibt ein Eisenbahnverkehrsunternehmen und nutzt Verkehrsstationen der Beklagten im Rahmen des Schienenpersonennahverkehrs. Die Parteien streiten über die Höhe des dafür zu entrichtenden Entgelts.
Die Beklagte schließt mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen, die die von ihr vorgehaltene Infrastruktur in Anspruch nehmen wollen, jeweils Rahmenverträge über die Stationsnutzung. Darin nimmt sie hinsichtlich der Höhe der Nutzungsentgelte Bezug auf ihre jeweils gültige Stationspreisliste (Stationspreissystem, SPS). Die Einzelnutzungen der Bahnhöfe werden in gesonderten Stationsnutzungsverträgen geregelt. Zum 1. Januar 2005 führte die Beklagte ein neues sog. "Preissystem 2005" (SPS 05) ein, das an die Stelle des ursprünglich geltenden "Preissystems 1999" (SPS 99) trat. Danach wurden die Preise nach bestimmten Preiskategorien und bezogen auf die jeweiligen Bundesländer pauschal ermittelt. Die Klägerin, für die das neue System zu Preiserhöhungen führte, zahlte die Erhöhungsbeträge ab dem 1. Januar 2005 nur noch unter Vorbehalt.
Mit einem Bescheid vom 10. Dezember 2009 (705-07-038) hat die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbehörde das SPS 05 mit Wirkung zum 1. Mai 2010 für ungültig erklärt. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mit einem Beschluss vom 23. März 2010 (13 B 247/19) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der hiesigen Beklagten gegen den Bescheid der Bundesnetzagentur angeordnet. Eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung in der Hauptsache ist bis heute nicht ergangen.
Mit ihren bei dem Landgericht Berlin erhobenen Klagen verlangt die Klägerin Rückzahlung der von ihr gezahlten Stationsnutzungsentgelte für den Zeitraum November 2006 bis Dezember 2010, soweit sie über die Entgelte nach dem SPS 99 hinausg...