Entscheidungsstichwort (Thema)
Halbstrafenaussetzung einer in der ehemaligen DDR verhängten Freiheitsstrafe
Leitsatz (amtlich)
›1. Für die Prüfung der Strafaussetzung zur Bewährung vor Verbüßung der Hälfte der Strafe wegen einer vor dem 3.10.1990 begangenen Straftat ist unabhängig davon, ob die Verurteilung durch ein Gericht der Bundesrepublik Deutschland oder der DDR ausgesprochen worden ist, bei einer sechs Jahre nicht überschreitenden Freiheitsstrafe § 45 Abs. 1 StGB/DDR anzuwenden, weil diese Vorschrift i.V. mit § 349 Abs. 1, 2 StPO/DDR - im Gegensatz zu § 57 Abs. 2 StGB - keine Mindestverbüßungsdauer vorsieht.
2. Der Verurteilte ist gem. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO mündlich zu hören. §§ 349 Abs. 6 und 8 StPO/DDR sind nicht anzuwenden.‹
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 29/2 Js 291/91 VRs - 542 StVK 286/02) |
Nachgehend
Gründe
Der Verurteilte verbüßt seit dem 2. August 2001 in der Justizvollzugsanstalt Hakenfelde eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Juli 1998 wegen Beihilfe zum Totschlag in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit begangen mit Beihilfe zur Rechtsbeugung. Einbezogen wurden die Strafen aus den Urteilen des Landgerichts Berlin vom 30. Oktober 1996 - (525) 2 Js 225/90 KLs (24/94) - und vom 20. Juni 1995 - (522) 29/2 Js 143/92 KLs (5/95) -, die gegen den Beschwerdeführer wegen Rechtsbeugung (Urteil vom 30. Oktober 1996) und wegen Beihilfe zur Rechtsbeugung (Urteil vom 20. Juni 1995) verhängt worden sind. Das Urteil ist seit dem 27. Juli 1999 rechtskräftig.
Als voraussichtliches Strafende ist der 2. August 2005 vermerkt; zwei Drittel der Strafe werden am 2. April 2004 verbüßt sein. Durch den angefochtenen Beschluss hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach § 45 StGB/DDR zur Bewährung auszusetzen, weil "jedenfalls die materiellen Voraussetzungen" des § 45 StGB/DDR nicht erfüllt seien. Eine mündliche Anhörung hat das Landgericht unter Hinweis auf § 454 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2a StPO i.V.m. § 349 Abs. 8 StPO/DDR abgelehnt. Die zulässige sofortige Beschwerde (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) des Verurteilten hat einen vorläufigen Erfolg.
1. Der Beschluss muss aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden, weil die Strafvollstreckungskammer ihn ohne die gemäß § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgeschriebene Anhörung des Verurteilten gefasst hat und kein Ausnahmefall nach § 454 Abs. 1 Satz 4 StPO vorlag, der das Gericht dazu ermächtigt hätte, von der Anhörung abzusehen.
a) aa) Der Hinweis der Strafvollstreckungskammer auf § 349 Abs. 8 StPO/DDR, wonach eine mündliche Anhörung nicht zwingend vorgeschrieben ist, ist unzutreffend, weil diese Norm nicht mehr gilt. Denn es sind bei Änderungen des Verfahrensrechts sogar bei anhängigen Verfahren die jeweils neuen Vorschriften des Prozessrechts anzuwenden (vgl. BGHSt 26, 288, 289; 22, 321, 325; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO, 45. Aufl., Einl. 203 und Rdn. 4 zu § 354a).
Daraus folgt auch, dass die in § 349 Abs. 6 StGB/DDR geregelte Antragstellung durch den Staatsanwalt und den Leiter der Justizvollzugsanstalt entbehrlich und nicht mehr möglich ist, weil das geltende Verfahrensrecht dies nicht vorsieht. Die nach § 454 Abs. 1 StPO erforderliche Einwilligung des Verurteilten liegt schon in der Aufforderung des für ihn tätigen Verteidigers an die Staatsanwaltschaft bzw. die Justizvollzugsanstalt, einen Antrag auf Strafaussetzung zur Bewährung zu stellen.
bb) Der Anwendung des § 454 StPO Entgegenstehendes ergibt sich auch nicht aus dem Einigungsvertrag. Denn nach Kapitel III Abschnitt III ist das Bundesrecht im Beitrittsgebiet in Kraft getreten. Besondere, abweichende Regelungen wurden für den Bereich der Strafprozessordnung in Nr. 14d bis f insbesondere für Rechtsfolgen aus Entscheidungen eines Strafgerichts der ehemaligen DDR getroffen, nicht aber für die Vollstreckung von Urteilen, die nach dem Beitritt ausgesprochen wurden. Für das Land Berlin enthält der Einigungsvertrag im Abschnitt IV Nr. 3e bezüglich der Strafprozessordnung eine Sonderregelung nur hinsichtlich der Kassationsverfahren.
b) Von einer mündlichen Anhörung kann auch nicht deshalb abgesehen werden, weil der Beschwerdeführer noch nicht die Hälfte der Strafe verbüßt hat (§ 454 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2a StPO). Denn diese Vorschrift steht in engem Zusammenhang mit § 57 Abs. 2 StGB, dessen sachlich-rechtlicher Gehalt, die Strafaussetzung frühestens nach der Verbüßung der Hälfte der Strafe zuzulassen, die Grundlage für die prozessuale Einschränkung des rechtlichen Gehörs bildet. Die persönliche Anhörung dient dem Zweck, dass die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten von Angesicht kennen lernt, um sicherere Erkenntnisse über die Prognose zu gewinnen. Diesem Zweck kann eine Anhörung nicht dienen, wenn das Gesetz die vorzeitige Entlassung aus formellen Gründen ausschließt.
Ist jedoch anstatt § 57 Abs. 2 StGB entsprechend dem Vorbringen des Beschwerdeführers sachlich-rechtlich § 45...