Leitsatz (amtlich)

Der Durchschnittsleser versteht die Äußerung "Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)." dahingehend, Entwicklungshilfezahlungen in der genannten Höhe seien in den letzten zwei Jahren (seit der Machtübernahme durch die Taliban am 15. August 2021) an die derzeitigen Machthaber in Afghanistan geleistet worden. Es handelt sich nach einer Sinndeutung um die Behauptung einer Tatsache und um keine Meinungsäußerung.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 1004

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 27 O 410/23)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 11.04.2024; Aktenzeichen 1 BvR 2290/23)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 4. Oktober 2023 - 27 O 410/23 - abgeändert:

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, untersagt, in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten und/oder veröffentlichen und/oder verbreiten zu lassen:

"Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)."

wie in dem nachfolgenden Tweet des Antragsgegners vom 25. August 2023 um 15:59 Uhr geschehen:

...

II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Gebührenstreitwert für das Verfahren wird in Abänderung der Festsetzung des Landgerichts im Beschluss vom 4. Oktober 2023 auf 25.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft und zulässig. Insbesondere wahrt das am 20. Oktober 2023 eingegangene Rechtsmittel die 2-Wochen-Frist des § 569 Absatz 1 ZPO, da diese mit der Zustellung des Beschlusses am 6. Oktober 2023 zu laufen begann. Auch die Formvorschriften des § 569 Absatz 2 ZPO sind eingehalten.

II. Der Antrag ist auch nicht aufgrund mangelnder Prozessvollmacht unzulässig. Die Antragstellerin wird wirksam durch ... vertreten. Diese hat jedenfalls am 10. November 2023 eine Vollmacht von Staatssekretär ... erhalten. Dieser ist nach § 6 Absatz 1 Satz 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) vom 26. Juli 2000 (GMBl S. 526), zuletzt geändert durch Artikel 1 Beschluss vom 11. Dezember 2019 (GMBl 2020 S. 68) befugt, ..., die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zu vertreten. Diese ist ihrerseits befugt, die Bundesrepublik Deutschland, die Antragstellerin, zu vertreten (siehe nur BGH, Urteil vom 15. Juni 1967 - III ZR 137/64, NJW 1967, 1755 [juris Randnummer 6]; BeckOK ZPO/Toussaint, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 18 Randnummer 5; MüKoZPO/Patzina, 6. Auflage 2020, ZPO § 18 Randnummer 7; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, 5. Auflage 2020, ZPO § 18 Randnummer 9).

B. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

I. Der Antragstellerin steht gegenüber dem Antragsgegner ein auf §§ 823 Absatz 2, 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit §§ 185 ff., 194 StGB gestützter Unterlassungsanspruch zu. Die Äußerung "Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)." in dem Tweet des Antragsgegners vom 25. August 2023 ist geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Bundesrepublik Deutschland bzw. des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), und deren Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen.

1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt wird.

a) Zwar haben sie weder eine "persönliche" Ehre noch können sie wie eine natürliche Person Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein; sie genießen jedoch, wie § 194 Absatz 3 StGB zeigt, im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben strafrechtlichen Ehrenschutz, der über §§ 1004, 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit §§ 185 ff. StGB zivilrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann (siehe nur BGH, Urteil vom 22. April 2008 - VI ZR 83/07 - NJW 2008, 2262, Randnummer 28 und BGH, Urteil vom 22. November 2005 - VI ZR 204/04, NJW 2006, 601 Randnummer 9; Mann, in: Himmelsbach/Mann, Presserecht, 1. Auflage 2022, § 12 Randnummer 19). Ein solcher Ehrenschutz kann jedenfalls dann geltend gemacht werden, wenn die konkrete Äußerung geeignet ist, die juristische Person des öffentlichen Rechts schwerwiegend in ihrer Funktion zu beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 22. April 2008 - VI ZR 83/07 - NJW 2008, 2262, Randnummer 29).

b) Daraus folgt aber nicht, dass eine "schwerwiegende Funktionsbeeinträchtigung" (tatsächlich) eingetreten sein muss. Ein solches Verständnis hätte zur Konsequenz, dass sich juristische Personen des öffentlichen Rechts niemals mit rechtlichen Mitteln gegen ehrverletzende Äußerungen von Dritten...

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