Leitsatz (amtlich)
1. Im Falle der Ablehnung des Antrages der Polizei auf gerichtliche Anordnung besonderer Maßnahmen des Datenabgleichs nach § 47 ASOGBln (so genannte Rasterfahndung) ist die Polizei beschwerdeberechtigt.
2. In Ansehung der Terroranschläge in den USA vom 11.9.2001 liegen die Voraussetzungen des § 47 ASOGBln für die Anordnung der Rasterfahndung vor, insbesondere ist von einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben von Personen auszugehen. Die mit der Maßnahme verbundene Einschränkung des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen (Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG) verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Normenkette
ASOGBln § 47; GG Art. 1-2
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 84 T 278/01 u.a.) |
AG Berlin-Tiergarten (Aktenzeichen 353 AR 199/01) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird zu 1) seiner Formel aufgehoben.
Die Beschwerden der Beteiligten zu 1) bis 3) gegen den Beschluss des AG Tiergarten vom 20.9.2001 in der berichtigten Fassung vom 21.9.2001 (Beschwerdewert: 5.000 DM) sowie gegen den Beschluss des AG Tiergarten vom 26.9.2001 (Beschwerdewert: 5.000 DM) werden als unzulässig verworfen.
Die Beschwerden der Beteiligten zu 1) bis 3) und 5) gegen den Beschluss des AG Tiergarten vom 24.10.2001 (Beschwerdewert: 5.000 DM) werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass in der Beschlussformel auf S. 1 hinter den Worten „aus allen Dateien,”, auf S. 2 Zeilen 22 und 30 sowie auf S. 3 Zeile 3 jeweils das Wort „namentlich” entfällt. In diesem Umfang wird die weitere Beschwerde zurückgewiesen.
Der Wert des Verfahrens der weiteren Beschwerde beträgt 3.000 EUR.
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin (Antragsteller) hat mit Schreiben vom 19.9.2001 beim AG Tiergarten in Berlin beantragt, näher beschriebene Maßnahmen des Datenabgleichs gem. § 47 ASOGBln anzuordnen. Zur Begründung hat der Antragsteller im Einzelnen ausgeführt, die Anordnung sei angesichts der Terroranschläge in den USA vom 11.9.2001 zur Abwehr der Gefahr weiterer Terroranschläge islamischer Extremisten erforderlich. Mit Beschluss vom 20.9.2001 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21.9.2001 hat das AG die Übermittlung personenbezogener Daten durch bestimmte Stellen, u.a. Universitäten, angeordnet (sog. Rasterfahndung) und als Merkmale der einzubeziehenden Personengruppe lediglich vermutete islamische Religionszugehörigkeit und vermutlich legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland bestimmt. Auf einen weiteren Antrag des Antragstellers hat das AG mit Beschluss vom 26.9.2001 die Anordnung um eine weitere zur Übermittlung verpflichtete Stelle ergänzt. Sodann hat der Antragsteller im Hinblick auf hervorgetretene Schwierigkeiten bei der Umsetzung der bisherigen Anordnung unter dem 17.10.2001 beim AG eine „Beschlussneufassung” beantragt und die zu übermittelnden Daten und verpflichteten Stellen neu aufgeführt. Dazu hat er zur einzubeziehenden Personengruppe weitere Merkmale bezeichnet sowie für das bisherige Merkmal vermutlich islamischer Religionszugehörigkeit Hilfsmerkmale angegeben (insbesondere Geburtsort mit Länderliste). Das AG hat diesem Antrag mit Beschluss vom 24.10.2001 entsprochen.
Der Beteiligte zu 1) ist algerischer Staatsangehöriger und an der Beteiligten zu 5), einer Berliner Universität, als Student der Sozialwissenschaften immatrikuliert. Die Beteiligten zu 2) und 3) sind sudanesische Staatsangehörige und an der Beteiligten zu 5) als Studenten im Fach Biologie immatrikuliert. Die Beteiligten zu 1) bis 3) haben gegen die Beschlüsse des AG vom 20./21. und 26.9. sowie vom 24.10.2001 Beschwerde eingelegt, die Beteiligte zu 5) nur gegen den zuletzt ergangenen Beschluss. Das LG Berlin hat alle drei angefochtenen Beschlüsse aufgehoben und die zu Grunde liegenden Anträge des Antragstellers im Wesentlichen deshalb zurückgewiesen, weil es mangels konkreter Anhaltspunkte für in Deutschland drohende Terroranschläge an der erforderlichen gegenwärtigen Gefahr i.S.v. § 47 ASOG für die darin aufgeführten Rechtsgüter fehle. Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde des Antragstellers.
Die weitere Beschwerde ist gem. §§ 27, 29 FGG i.V.m. § 47 Abs. 4 S. 7 ASOGBln zulässig, wonach die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für das Verfahren entsprechend gelten. Entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1) bis 3) fehlt es insbesondere nicht an der Beschwerdeberechtigung des Antragstellers:
Nach § 47 Abs. 1 S. 1 ASOG kann die Polizei unter bestimmten Voraussetzungen die Übermittlung von Daten zum Zwecke des Datenabgleichs verlangen. Gemäß Abs. 4 der Vorschrift darf die Maßnahme außer bei Gefahr im Verzug nur durch den Richter angeordnet werden. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Hervorhebung ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Anordnungsverfahren um ein Antragsverfahren handelt, für das die Vorschriften des FGG entsprechend gelten, und die Polizei, d.h. hier der Antragsteller, antragsbefugt ist, weil er die richterliche Anordnung benötigt, um in Anwendung des § 47 Abs. 1 ...