Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtliche Freigabe der Handelsregistereintragung eines angefochtenen Hauptversammlungsbeschlusses: Rechtsmissbräuchlichkeit des ordnungsgemäßen Squeeze Out nur im eklatanten Ausnahmefall (hier: Unterlaufen einer Sonderprüfung)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Durchführung eines Squeeze Out (§§ 327a ff. AktG) kann bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nur in eklatanten Fallgestaltungen als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Dies kommt etwa in Betracht, wenn deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der gesetzgeberische Zweck entfremdet und stattdessen ein anderweit aufgestelltes Verbot unterlaufen wird oder die beabsichtigte Maßnahme in ihrer Benachteiligung der Minderheit über das vom Gesetz vorgesehene Maß deutlich hinausgeht, wobei an den von den Minderheitsaktionären zu führenden Nachweis einer Zweckentfremdung hohe Anforderungen zu stellen sind.

2. Aktionäre, die die gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers begehren (§ 142 Abs. 2 AktG), müssen ihren Aktienbesitz bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die Sonderprüfung halten. Erfolgt ein sie betreffender Squeeze Out vor diesem Zeitpunkt, wird der Antrag unzulässig.

3. Wird durch einen Squeeze Out einem noch nicht rechtskräftig beschiedenen Antrag auf Sonderprüfung auf diesem Wege der Boden entzogen, kann dies den Squeeze Out rechtsmissbräuchlich machen, wenn konkreter tatsächlicher Anhalt dafür besteht, dass die Hauptaktionärin den Squeeze Out mit dem Ziel des Unterlaufens der Sonderprüfung betreibt.

4. Die Beschlussfassung über den Squeeze Out erfordert u.a. die Auslegung der festgestellten Jahresabschlüsse, nicht aber eines Jahresabschlusses, der lediglich vom Vorstand aufgestellt, jedoch bislang weder geprüft noch vom Aufsichtsrat gebilligt wurde.

5. Die Nichtabgabe eines Prüfungsurteils durch den Abschlussprüfer (§ 322 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5 HGB) ermöglicht - anders als der Abbruch der Prüfung - eine formal ordnungsgemäße Beendigung der Prüfung und erlaubt damit auch die Feststellung des Jahresabschlusses.

 

Normenkette

AktG § 131 Abs. 1, § 142 Abs. 2, § 319 Abs. 6, § 327a ff., § 327c Abs. 3 Nr. 2, § 327e Abs. 2; BGB § 126 Abs. 1; HGB § 322 Abs. 2, 5; WpHG § 59; WpÜG § 44; ZPO §§ 439, 440 Abs. 1

 

Tenor

1. Es wird gemäß § 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 AktG festgestellt, dass die Erhebung der bei dem Landgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 94 O 44/23 (vormals 2 O 163/23, 56 O 27/23, 91 O 48/23, 94 O 81/23, 95 O 48/23, 95 O 64/23 und 102 O 22/23) anhängigen Klagen der Antragsgegner gegen den Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 28.04.2023 zum ersten Tagesordnungspunkt über die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der Antragstellerin auf die A. S.A. mit Sitz in L. gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung gemäß §§ 327a ff. AktG der Eintragung dieses Beschlusses in das Handelsregister der Antragstellerin beim Amtsgericht Charlottenburg nicht entgegenstehen.

2. Die Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Nebenintervention, welche die Nebenintervenientinnen selbst zu tragen haben.

3. Der Verfahrenswert wird auf 500.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin - eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in Berlin - nimmt die Antragsgegner in einem aktienrechtlichen Freigabeverfahren in Anspruch. Das Grundkapital der Antragstellerin ist in insgesamt 109.416.860 Stückaktien zu je 1 EUR eingeteilt. Am 22.3.2023 hatte sie im Bundesanzeiger u.a. veröffentlichen lassen (vgl. Anlage 1 zur Anlage ASt22):

"A. Aktiengesellschaft Berlin, WKN / ISIN pp.

Einladung zur außerordentlichen Hauptversammlung 2023

Wir laden die Aktionäre unserer Gesellschaft zur außerordentlichen Hauptversammlung am Freitag, den 28. April 2023, um 10:00 Uhr (MESZ) in das Hotel S., Berlin, ein. Die außerordentliche Hauptversammlung findet als Präsenzversammlung statt.

TAGESORDNUNG

1. Beschlussfassung über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre der A. Aktiengesellschaft auf die A. S.A. als Hauptaktionärin gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung gemäß §§ 327a ff. AktG

Gemäß § 327a AktG kann die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft auf Verlangen eines Aktionärs, dem Aktien der Gesellschaft in Höhe von 95 % des Grundkapitals gehören (Hauptaktionär), die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) auf den Hauptaktionär gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung beschließen (sog. aktienrechtlicher Squeeze-Out).

Das Grundkapital der A. Aktiengesellschaft beträgt EUR 109.416.860,00 und ist eingeteilt in 109.416.860 auf den Inhaber lautende Stückaktien mit einem anteiligen Betrag am Grundkapital von EUR 1,00 je Aktie. Die A. S.A., mit Sitz in L., hält derzeit 106.027.869 Aktien der A. Aktiengesellschaft. Dies entspricht einem Anteil von rund 96,90 % am Grundkapital der A. Aktiengesellschaft. Die A. S.A. ist damit Hauptaktionärin im Sinne des § 327a Absatz 1 Satz 1 AktG.

Die A. S.A...

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