Leitsatz (amtlich)
Eine Ehe wird nach schottischem Recht als unheilbar zerrüttet angesehen, wenn die Eheleute während eines ununterbrochenen Zeitraums von zwei Jahren nach der Eheschließung und unmittelbar vor Einleitung der Scheidung nicht als Eheleute zusammengelebt haben. Bleibt dies im Scheidungsverfahren vor dem Sherrif Court unstreitig, muss keine vollständig begründete Entscheidung über die Scheidung der Ehe ergehen. Stattdessen wird lediglich ein Extract Decree of Divorce ausgestellt. Eine solche Urkunde kann Grundlage für die Anerkennung der Scheidung durch die Landesjustizbehörde im Verfahren nach § 107 FamFG sein (Fortsetzung von Senat, Beschluss vom 12. September 2019 - 1 VA 10/19 - FamRZ 2020, 40 = StAZ 2020, 79).
Normenkette
FamFG § 107
Tenor
Die Entscheidung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz vom 12. Juli 2023 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Urteils (Decree of Divorce) des Sheriff Court ... vom 30. Juni 2021 vorliegen, soweit dadurch die Ehe zwischen den Beteiligten geschieden worden ist.
Gründe
I. Die Beteiligte zu 1 ist deutsche Staatsangehörige, der Beteiligte zu 2 besitzt die britische Staatsangehörigkeit. Sie schlossen am 5. Dezember 2009 in Schottland miteinander die Ehe. Anschließend lebten sie dort bis zum März 2019 zusammen. Sie haben einen gemeinsamen, im Jahr 2011 geborenen Sohn.
Auf den im Mai 2021 gestellten Antrag der Beteiligten zu 1 sprach das Sherrif Court in ... am 30. Juni 2021 die Scheidung der Ehe der Beteiligten aus. Die Beteiligte erhielt hierüber eine mit "EXTRACT DECREE OF DIVORCE" überschriebene Urkunde vom 15. Juli 2021. Eine Begründung für den Scheidungsausspruch enthält diese Urkunde nicht.
Die Beteiligte zu 1 hat am 1. Mai 2023 bei der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz die Anerkennung der in Schottland ausgesprochenen Ehescheidung beantragt und hierzu eine mit Apostille versehene Ausfertigung des Extract Decree of Divorce nebst deutscher Übersetzung beigefügt.
Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz hat den Antrag der Beteiligten zu 1 mit Bescheid vom 12. Juli 2023 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 1 mit ihrem am 10. August 2023 bei dem Kammergericht eingegangenen "Wiederspruch", mit dem sie die Anerkennung der Ehescheidung weiterverfolgt. Der Beteiligte zu 2 ist hierzu gehört worden, hat sich aber nicht geäußert.
II. 1. Das am 10. August 2023 eingegangene Schreiben der Beteiligten zu 1 ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung auszulegen. Nur mit einem solchen Antrag kann die Beteiligte zu 1 eine Abänderung der Entscheidung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz erreichen, § 107 Abs. 5 FamFG. Es ist zu unterstellen, dass die Beteiligte zu 1 das insoweit statthafte Rechtsmittel einlegen wollte.
2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, er ist insbesondere rechtzeitig nach Zustellung der Entscheidung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, §§ 107 Abs. 7 S. 3, 63 Abs. 1 FamFG, bei dem hierfür zuständigen Kammergericht gestellt worden, § 107 Abs. 5, FamFG.
3. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat auch in der Sache Erfolg.
Entscheidungen, durch die im Ausland eine Ehe für nichtig erklärt, aufgehoben, dem Ehebanden nach oder unter Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden oder durch die das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Beteiligten festgestellt worden ist, werden nur anerkannt, wenn die Landesjustizverwaltung festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen, § 107 Abs. 1 S. 1 FamFG. Die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen oder nicht vorliegen, ist für Gerichte und Verwaltungsbehörden bindend, § 107 Abs. 9 FamFG.
a) Das Verfahren nach § 107 Abs. 1 FamFG findet im Anwendungsbereich europarechtlich oder staatsvertraglich getroffener vorrangiger Regelungen nicht statt, § 97 FamFG. Solche Regelungen bestehen hier nicht. Insbesondere findet die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-VO) keine Anwendung, nachdem der Übergangszeitraum des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der europäischen Atomgemeinschaft (Abl. L 29/66 vom 31. Januar 2020 - im Folgenden: Abkommen) am 31. Dezember 2020 geendet, Art. 126 Abkommen, und die Beteiligte zu 1 den Antrag auf Scheidung bei dem Sheriff Court erst im Jahr 2021 gestellt hat, Art. 67 Abs. 2 lit. b) Abkommen.
b) Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz war für den Antrag der Beteiligten zu 1 zuständig, weil die Beteiligten in Schottland leben und auch nicht beabsichtigen, im Inland eine neue Ehe zu schließen, § 107 Abs. 2 FamFG.
c) Entgegen der angefochtenen Entscheidu...