Leitsatz (amtlich)

1) Vergaberechtsverstöße, die erst im Vergabenachprüfungsverfahren bekannt werden, unterliegen nicht dem Erfordernis der unverzüglichen Rüge ggü. der Vergabestelle gem. § 107 Abs. 3 GWB. Vorliegend kann dahin stehen, ob sich in derartigen Fällen aus einer analogen Anwendung des § 107 Abs. 3 GWB ergibt, dass die Einführung des Vergaberechtsverstoßes in das Beschwerdeverfahren unverzüglich zu erfolgen hat; bejahendenfalls wäre der Bezugsmaßstab für die Prüfung der Unverzüglichkeit die Frage ob das Zuwarten mit der Rüge das Beschwerdeverfahren verzögert.

2) Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers hinsichtlich der Rüge von Vorgaben der Vergabestelle für das Vergabeverfahren ist nicht etwa deshalb zu verneinen, weil der Antragsteller trotz seiner Rüge an dem Vergabeverfahren teilgenommen und dabei die Vorgaben der Vergabestelle weitgehend eingehalten hat.

3) Zur Auslegung von Vergabebedingungen im Fall der Ausschreibung einer Schulspeisung.

4) Der Vergabesenat hat die Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Vergabestelle gemäß § 26 Nr. 1 Buchst. b) VOL/A anzuordnen, wenn das nach dieser Vorschrift bestehende Ermessen nach Abwägung der Interessen aller Beteiligten auf Null reduziert ist. Dies ist im Falle der Ausschreibung einer Schulspeisung dann der Fall, wenn der Zuschlag nach den Vergabebedingungen u.a. aufgrund eines Probeessens durch die Lehrer, Schüler und Eltern erfolgen soll, diese sich aber weigern, an dem Probeessen teilzunehmen.

5) Die Vorgabe der Vergabestelle an die Bieter, in einem Probeessen, das u.a. Grundlage des Zuschlags sein soll, keine Zutaten zu verwenden, "die nicht üblich bzw. geschmacklich unüblich" sind, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 97 bs. 1 GWB.

6) Zu Bewertungsfragen bei der Bildung einer Kostenquote im Vergabenachprüfungsverfahren.

7) Voraussetzung für die Erstattung der Kosten eines Beigeladenen ist es u.a., dass dieser einen Sachantrag stellt oder das Vergabenachprüfungsverfahren wesentlich fördert.

 

Verfahrensgang

Vergabekammer des Landes Berlin (Beschluss vom 19.11.2009; Aktenzeichen VK-B1-41/09)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin, 1. Beschlussabteilung, vom 19.11.2009 - VK-B1-41/09 - in Ziff. 1 und 2 seines Entscheidungstenors aufgehoben wie folgt geändert:

a) Der Antragsgegner wird verpflichtet, das Vergabeverfahren hinsichtlich des Loses Nr. 19 (Grundschule Nr. 26 "M. Grundschule") und des Loses Nr. 20 (Grundschule Nr. 31 "H.") aufzuheben.

b) Der Antragsgegner wird verpflichtet, in dem Vergabeverfahren hinsichtlich des Loses Nr. 8 (Grundschule Nr. 17 "E.") die Qualitätsbewertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut durchzuführen.

c) Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die Aufwendungen der am Verfahren vor der Vergabekammer Beteiligten tragen die Antragstellerin zu 10 % und der Antragsgegner zu 90 %.

d) Im Übrigen wird der Vergabenachprüfungsantrag zurückgewiesen.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin und des Antragsgegners, tragen die Antragstellerin zu 10 % und der Antragsgegner zu 90 %.

Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen findet nicht statt.

3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten war für die Antragstellerin auch im Verfahren vor der Vergabekammer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig.

4. Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf bis zu 40.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Antragsgegner schrieb im Amtsblatt der Europäischen Union vom 26.3.2009 die Essensversorgung der Schüler der Grundschulen Nrn. 17 ("E."), 26 ("M.") und 31 ("H.") des Bezirkes R. aus, wobei auf jede Schule jeweils ein Los entfiel. In der Ausschreibung wurde hinsichtlich der Zuschlagskriterien auf die in den Verdingungsunterlagen angeführten Kriterien verwiesen. Diese waren dort für die genannten Lose u.a. wie folgt beschrieben: "50 % Preis, 50 % Qualität ..."; ferner hatte der Preis in einem Bereich von 1,80 EUR bis 2,19 EUR je Essen zu liegen und die Benotung der Qualität war "durch die Essenskommissionen der Schulen, bestehend aus maximal 6 Personen je Schule (Schüler, Lehrer, Erzieher, Eltern)" anhand u.a. eines Probeessens vorzunehmen; die Qualitätsbenotung hatte nach den üblichen Schulnoten von 1,0 bis 6,0 mit Zehntelnotenabstufungen zu erfolgen, wobei die Verrechnung der Qualitätsnoten mit dem Angebotspreis anhand eines Punktesystems im Einzelnen geregelt war. Für die Auftragserteilung zu den genannten Losen bewarben sich die Antragstellerin mit einem Essenspreis von 2,18 EUR, die Beigeladene mit einem Essenspreis von 1,84 EUR sowie ein weiteres Unternehmen. Am 11.6.2009 wurde ein erstes Probeessen durchgeführt. Hiernach bewerteten sämtliche Mitglieder der drei Essenskommissionen das Essen der Antragstellerin mit "1,0" und das Essen der beiden anderen Bieter mit "6,0". Der Antragsgeg...

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