Leitsatz (amtlich)
1. Rechtsschutzbedürfnis für Anfechtung eines WEG-Beschlusses trotz bestätigenden Zweitbeschlusses;
2. Auswirkungen eines bestätigenden Zweitbeschlusses auf die Frage der Kausalität eines Einberufungsmangels;
3. Keine konstitutive Wirkung eines WEG-Beschlusses bezüglich zustimmungsbedürftiger Baumaßnahme nach § 22 Abs. 1 WEG a.F.;
4. Verjährungshemmende Wirkung eines WEG-"Stillhaltebeschlusses";
5. Schikaneverbot im WEG-Recht;
6. Konstitutive Wirkung und Anfechtbarkeit eines WEG-Beschlusses bei Gebrauchsregelungen nach § 15 Abs. 2 WEG a.F.;
7. Anforderungen an die Bestimmtheit eines WEG-Beschlusses;
8. Keine Inzidentkontrolle vorausgegangener WEG-Beschlüsse im WEG-Anfechtungsverfahren.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 24.07.2007; Aktenzeichen 85 T 326/06 WEG) |
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 76 II 72/06 WEG) |
Tenor
1. Die sofortigen weiteren Beschwerden der Antragsteller werden zurückgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten dritter Instanz haben der Antragsteller zu I.1. zwei Fünftel, die Antragstellerin zu I.2. drei Fünftel zu tragen. Die Erstattung außergerichtlicher Kosten wird nicht angeordnet.
3. Der Geschäftswert dritter Instanz wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Gegenstand des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerden sind die von dem Antragsteller zu I.1. angefochtenen Beschlüsse zu Zusatz-TOP 6 (Rückbau der an sein Sondereigentum angebauten Treppe am Balkon) und Zusatz-Top 8 (Entfernung sämtlicher Fahrräder aus der Tiefgarage mit Ausnahme der in der geschlossenen Box auf dem Stellplatz Nr. ... abgestellten Räder) der Wohnungseigentümerversammlung vom 30.1.2006 sowie der von der Antragstellerin zu I.2. angefochtene Beschluss zu TOP 1a derselben Wohnungseigentümerversammlung (Auftragserteilung zum Einbau einer Lüftungsanlage in der Tiefgarage). Das AG Schöneberg hat sämtliche Anfechtungsanträge der Antragsteller zurückgewiesen. Das LG hat ihre hiergegen gerichteten Erstbeschwerden zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihre jeweiligen Anfechtungsanträge weiter und begehren die entsprechende Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen.
B. Gemäß § 62 Abs. 1 WEG n.F. ist auf das vor dem 1.7.2007 anhängig gewordene Verfahren das bisherige Verfahrensrecht gem. §§ 43 ff. WEG einschließlich der darin enthaltenen Verweisungen auf das FGG weiter anzuwenden.
Dies gilt vorliegend ausnahmsweise auch für die materiell-rechtlichen Vorschriften. Nach Art. 4 des Gesetzes zur Änderung des WEG treten die neuen Vorschriften des WEG am 1.7.2007 in Kraft. Da eine dem § 62 Abs. 1 WEG entsprechende Vorschrift für die Anwendung der neuen materiell-rechtlichen Vorschriften fehlt, sind ab dem 1.7.2007 die geänderten materiell-rechtlichen Vorschriften des I. und II. Teils des WEG anzuwenden und zwar auch auf bereits anhängige Verfahren (BGH ZMR 2007, 975; OLG Düsseldorf ZMR 2008, 142, (143)). Dies gilt jedoch nur eingeschränkt für Beschlussanfechtungsverfahren. Die Gültigkeit von Beschlüssen, die - wie hier - vor dem 1.7.2007 gefasst worden sind, bestimmt sich nach den materiell-rechtlichen Vorschriften des I. und II. Teils des WEG in der zum Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Fassung. Denn für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines Rechtsgeschäfts ist auf den Zeitpunkt seines Zustandekommens abzustellen. Solche Beschlüsse, die nach bisherigem Recht anfechtbar bzw. nichtig sind, sind im Anfechtungsverfahren für ungültig zu erklären bzw. bleiben nichtig, auch wenn sie nach neuem Recht rechtswirksam gefasst werden könnten; eine rückwirkende Heilung ist nicht möglich (Merle in Bärmann, WEG, 10. Aufl. 2008, § 63 Rz. 2 mit weiteren Nachweisen).
I. Die sofortigen weiteren Beschwerden der Antragsteller sind gem. §§ 27, 29, FGG, 45 WEG a.F. zulässig. Sie sind insbesondere jeweils form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie sind auch statthaft, weil der Wert der Beschwer für die Antragsteller jeweils 750 EUR übersteigt.
II. In der Sache bleiben die beiden sofortigen Beschwerden jedoch ohne Erfolg, weil die angefochtene Entscheidung nicht auf einem Rechtsfehler beruht, worauf die sofortigen weiteren Beschwerden allein mit Erfolg gestützt werden können (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG).
1. Anfechtung des zu Zusatz-TOP 6 gefassten Beschlusses
1.1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung des auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 30.1.2006 zu Zusatz-TOP 6 gefassten Beschlusses ist nicht deshalb entfallen, weil die Wohnungseigentümer auf der Wohnungeigentümerversammlung vom 3.7.2006 einen insoweit bestätigenden Zweitbeschluss gefasst hat. Dies folgt bereits daraus, dass der auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 3.7.2006 gefasste Beschluss seinerseits noch nicht bestandskräftig geworden und Gegenstand eines eigenen vor dem AG Schöneberg zum Geschäftszeichen 76 II 350/06 WEG und vor dem LG Berlin zum Geschäftszeichen 85 T 20/07 fortgesetzten Anfechtungsverfahrens ist, das bisher noch nicht rechtskräftig abgeschlossen wurde. Wird durch einen inhaltsgleichen Zweitbeschluss der Erstbesc...