Leitsatz (amtlich)
Eine öffentliche Zustellung ist auch dann unwirksam, wenn die Benachrichtigung trotz einer die falsche Gerichtstafel bezeichnenden Anordnung an der des richtigen Gerichts aushängt.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 13.05.2008; Aktenzeichen (576) 14 Js / 3033 PLs 5915/07 Ns (15/08)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. Mai 2008 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kostenentscheidung im vorgenannten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seiner sofortigen Beschwerde zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Angeklagten am 24. September 2007 wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung. Das hiergegen rechtzeitig eingelegte unbenannte Rechtsmittel des Angeklagten ist gemäß § 300 StPO als Berufung zu behandeln, da eine Erklärung, daß es als Revision behandelt werden soll, nicht vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist beim Amtsgericht eingegangen ist (vgl. BGHSt 13, 388; 5, 338). Das Landgericht Berlin verwarf durch Urteil vom 13. Mai 2008 kostenpflichtig die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, weil er ungeachtet der erfolgten und nachgewiesenen öffentlichen Zustellung der Ladung unentschuldigt ausgeblieben sei.
Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Revision gegen dieses Urteil erhebt der Angeklagte die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Seine zulässige Revision (§ 333 StPO) dringt mit der erhobenen Verfahrensrüge, der Angeklagte sei zu der Berufungshauptverhandlung am 13. Mai 2008 nicht ordnungsgemäß geladen worden und deshalb habe kein Verwerfungsurteil ergehen dürfen, durch.
I.
Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet.
1.
a)
Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO müssen alle Tatsachen umfassend und vollständig vorgetragen werden, die aufzeigen, daß die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht gegeben waren, nämlich daß eine ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung nicht vorlag (vgl. BayObLG NStZ-RR 2001, 374, 375; OLG Stuttgart Justiz 2006, 235; OLG Hamm NStZ-RR 2005, 114; OLG Karlsruhe VRS 90, 438, 439 = NStZ-RR 1996, 245; KG StV 2009, 14; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 329 Rdn. 48; Gössel in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 329 Rdn. 100; Brunner in KMR, StPO, § 329 Rdn. 52; Frisch in SK-StPO, § 329 Rdn. 68). Nur wenn die Revisionsschrift diesen Anforderungen gerecht wird, kann das Revisionsgericht prüfen, ob der gerügte Verfahrensfehler gegeben ist, und im Wege des Freibeweises feststellen, ob die ihn tragenden Tatsachen vorliegen.
b)
Dies behauptet die Revision mit dem im einzelnen näher dargelegten Vorbringen, die im Wege der öffentlichen Zustellung am 3. Mai 2008 als bewirkt geltende Ladung des Angeklagten sei unwirksam, weil der die öffentliche Zustellung anordnende Beschluß des Landgerichts Berlin vom 15. April 2008 den Aushang der Benachrichtigung an der Gerichtstafel des falschen Gerichts, nämlich des Amtsgerichts Tiergarten anstatt des Landgerichts Berlin, bezeichnet habe. Das Revisionsgericht wird durch die nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO hinreichend ausgeführte Verfahrensrüge in die Lage versetzt, allein anhand der Begründungsschrift zu prüfen, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (vgl. Meyer-Goßner, § 344 StPO Rdn. 24 mit weit. Nachw.).
Die Rüge ist nicht deshalb unzulässig, weil nicht vorgetragen wird, daß der Angeklagte nicht über seinen beigeordneten Verteidiger zur Hauptverhandlung geladen worden ist. Denn der Vortrag sogenannter Negativtatsachen ist auch unter dem Gesichtspunkt der Beruhensprüfung jedenfalls in den Fällen nicht notwendig, in denen die nicht geschilderte Tatsache das Beruhen des Urteils auf dem Mangel nicht entfallen ließe, beziehungsweise in denen die anzuwendenden Normen (§§ 323 Abs. 1, 216 Abs. 1, 145a Abs. 2 Satz 1 StPO) einen eindeutigen Normbefehl enthalten (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2001, 140, 141). So liegt es hier, weil der Angeklagte - was notwendig gewesen wäre (vgl. OLG Köln NStZ-RR 1999, 334, 335) - seinem Pflichtverteidiger keine Vollmacht zur Empfangnahme von Ladungen erteilt hatte und weil §§ 323 Abs. 1, 216 Abs. 1 StPO die grundsätzliche Verpflichtung enthalten, den Angeklagten nicht über seinen Verteidiger zu laden.
2.
Das angefochtene Verwerfungsurteil kann keinen Bestand haben, weil der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden ist.
a)
Die Voraussetzungen für die Anordnung einer öffentlichen Zustellung lagen gemäß § 40 Abs. 3 StPO vor. Der Angeklagte ist zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht wirksam über die Justizvollzugsanstalt Moabit geladen worden, weil er sich seinerzeit dort in Strafhaft befand. Eine neue Anschrift hat...