Leitsatz (amtlich)
Wenn ein Steuerberater tatsächlich Kenntnis von einer Entscheidung eines FG hat, in der wegen grundsätzlicher Bedeutung (hier: Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus Wertpapiergeschäften) die Revision zugelassen worden ist, muss er gegen Bescheide des Finanzamtes, die auf der Verfassungsmäßigkeit der Norm beruhen, Einspruch einlegen.
Es stellt aber keine Pflichtverletzung des Steuerberaters dar, wenn er eine in der Anlage zum Bundessteuerblatt, in der die beim BFH, dem BVerfG und dem Europäischen Gerichtshof anhängigen Verfahren aufgenommen werden, enthaltene Entscheidung nicht kennt, wenn es aus anderen Erkenntnisquellen keinerlei Anlass gab, an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm zu zweifeln.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 11.08.2005; Aktenzeichen 20 O 37/05) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.8.2005 verkündete Urteil des LG Berlin - 20 O 37/05 - geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages zzgl. 10 % abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadenersatz, weil er aufgrund von Spekulationseinkünften aus Wertpapiergeschäften für das Jahr 1998 aufgrund des Steuerbescheides vom 19.12.2001 46.919,48 EUR Steuern zahlen musste. Er wirft den Beklagten vor, dass sie gegen diesen Steuerbescheid Einspruch hätten einlegen müssen, weil das Schleswig-Holsteinische FG am 23.9.1999 (V 7/99 = EFG 2000, 178) in einem von dem Kläger K. T. betriebenen Verfahren, in dem dieser die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen geltend gemacht hatte, die Revision zugelassen worden war. Nach Einlegung der Revision ist das Verfahren am 10.4.2000 in die Liste der beim BFH anhängigen Verfahren aufgenommen worden. Die Beklagten hätten dieses Verfahren gekannt, jedenfalls hätten sie es kennen müssen und dementsprechend Einspruch einlegen müssen, um für den Kläger, für den es um erhebliche Beträge ging, die Chance einer Abänderung des Steuerbescheids für den Fall zu wahren, dass letztlich die Verfassungswidrigkeit festgestellt werden würde. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das LG hat die Beklagten antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagten beantragen, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger behauptet, bei dem Erstgespräch im Februar 2001 sei über die Frage der Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen und über das Verfahren, das diesbezüglich von dem namhaften Steuerrechtler T. angestrengt worden sei, und von dem er - der Kläger - aus der Zeitschrift Capital gewusst habe, gesprochen worden.
Im Übrigen verteidigen beide Parteien ihre Rechtsstandpunkte nach Maßgabe ihres Vorbringens vom 17.10.2005 und 31.8.2006 (Beklagte) bzw. vom 23.1.2006 und 8.8.2006 (Kläger).
Das Gericht hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 4.8.2006. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 1.9.2006 Bezug genommen.
II. Die Berufung der Beklagten ist begründet, denn der Kläger hat gegen sie keinen Anspruch auf Schadenersatz aus positiver Vertragsverletzung wegen Schlechterfüllung des Steuerberatungsvertrages. Eine Pflichtverletzung ist den Beklagten nicht vorzuwerfen. Allerdings ist das LG zutreffend davon ausgegangen, dass der Steuerberater im Rahmen des ihm erteilten Auftrags verpflichtet ist, den Mandanten umfassend zu beraten und ungefragt über alle steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Er hat seinen Mandanten möglichst vor Schaden zu schützen. Hierzu hat er den relativ sichersten Weg zu dem angestrebten steuerlichen Ziel aufzuzeigen und die für den Erfolg notwendigen Schritte vorzuschlagen. Die mandatsbezogen erheblichen Gesetzes- und Rechtskenntnisse muss der Steuerberater besitzen oder sich ungesäumt verschaffen. Neue oder geänderte Rechtsnormen hat er in diesem Rahmen zu ermitteln (BGH v. 15.7.2004 - IX ZR 472/00, BGHReport 2004, 1547 m. Anm. Pröpper = MDR 2005, 33 = NJW 2004, 3487 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Wegen der richtungweisenden Bedeutung, die höchstrichterlichen Entscheidungen für die Rechtswirklichkeit zukommt, hat er sich bei der Wahrnehmung eines Mandats grundsätzlich an dieser Rechtsprechung auszurichten. Er darf in der Regel auf ihren Fortbestand vertrauen. Das gilt insb. in den Fällen einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, weil von einer solchen nur in besonderen Ausnahmefällen abgegangen zu werden pflegt. Auch entgegenstehende Judikatur von Insta...