Entscheidungsstichwort (Thema)
HWS-Verletzung infolge eines Verkehrsunfalls
Leitsatz (amtlich)
Für die Verletzung der Halswirbelsäule als Erstverletzung muss der Kläger den Vollbeweis gem. § 286 ZPO erbringen.
Ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen einer unfallbedingten Verletzung der HWS kann nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur bejaht werden, wenn eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung ab 15 Km/h bewiesen ist; das gilt auch dann, wenn der Geschädigte ärztliche Atteste vorlegt, in denen ihm auf Grund der Diagnose einer HWS-Verletzung für die Zeit nach dem Unfall Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird.
Ein Blick in den Innenspiegel des Fahrzeugs ist nicht als verletzungsfördernde "out of position" - Sitzposition anzusehen; mangels besonderer verletzungsfördernder Faktoren ist die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung (hier: 11,3 km/h) im Verhältnis zur Belastbarkeit der Wirbelsäule des Klägers für die Feststellung einer unfallbedingten HWS-Verletzung wesentlich.
Normenkette
ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 03.12.2003; Aktenzeichen 17 O 204/02) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 3.12.2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des LG Berlin - 17 O 204/02 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das LG ist i.E. zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin kein Anspruch auf Erstattung von Zuzahlungen zu Behandlungskosten, Fahrtkosten zu Ärzten und auf Zahlung eines Schmerzensgeldes auf Grund des Unfalls vom 19.5.1999 gegen die Beklagten zusteht. Der Klägerin ist es, wovon bereits das LG ausgegangen ist, nicht gelungen nachzuweisen, dass sie bei dem unstreitig durch den Beklagten zu 1) verschuldeten Verkehrsunfall eine Verletzung der Halswirbelsäule überhaupt erlitten hat. Das LG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin hierfür den Vollbeweis gem. § 286 ZPO erbringen muss. Bei kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen von bis zu 15 km/h auf Grund eines Unfalls mit Heckaufprall spricht nach ständiger Rechtsprechung des Senats kein Beweis des ersten Anscheins für eine unfallbedingte Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule; für den Beweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Verhalten des Schädigers und einer Körperverletzung ist vielmehr nach § 286 ZPO der volle Beweis erforderlich (KG, Urt. v. 12.2.2004 - 12 U 219/02, KGReport Berlin 2004, 523 = NZV 2004, 460; Urt. v. 28.8.2003 - 12 U 88/0, KGReport Berlin 2004, 85 = NZV 2004, 252; v. 1.7.2002 - 12 U 8427/00, KGReport Berlin 2003, 157; Urt. v. 21.10.1999 - 12 U 8303/95, KGReport Berlin 2000, 81 = NJW 2000, 877). Dies gilt auch dann, wenn der Geschädigte ärztliche Atteste vorlegt, in denen ihm auf Grund der Diagnose einer HWS-Verletzung für die Zeit nach dem Unfall Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde (KG Berlin, Urt. v. 27.2.2003 - 12 U 8408/00, KGReport Berlin 2003, 156 = NZV 2003, 281 = VRS 105, 94). Der Anscheinsbeweis kommt nämlich nur dann zum Tragen, wenn ein Sachverhalt als feststehend angenommen werden kann, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Geschehensablauf hinweist. Der nach einem Unfall behandelnde Arzt erstellt naturgemäß seine Diagnose jedoch lediglich aufgrund der Angaben des Patienten und zwar auch dann, wenn er diese nicht verifizieren kann.
Es gibt in Fällen der vorliegenden Art weder eine allgemeine Lebenserfahrung, dass Heckauffahrunfälle mit einer geringen Geschwindigkeitsänderung, wie hier zwischen 7 und 11 km/h, grundsätzlich zu einer Verletzung der Halswirbelsäule führen, noch eine sog. Harmlosigkeitsgrenze, wonach eine Verletzung der Halswirbelsäule in Fällen mit geringer Geschwindigkeitsänderung grundsätzlich ausgeschlossen ist (BGH, Urt. v. 28.1.2003 - VI ZR 139/02, MDR 2003, 566 = BGHReport 2003, 487 = NZV 2003, 167, mit Übersicht zur bisherigen Rechtsprechung). Deshalb war es entgegen der Auffassung des LG auch nicht entbehrlich, das Gutachten eines orthopädischen Sachverständigen einzuholen um feststellen zu können, ob die Klägerin die von ihr in der Zeit nach dem Unfall beklagten Gesundheitsbeschädigungen durch den Unfall erlitten hat. Insoweit ist es entgegen der Annahme des LG nicht erforderlich, dass ein medizinischer Sachverständiger einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall und den Beschwerden des Verletzten mit hundertprozentiger Sicherheit bestätigt. Ein solches Gutachten muss vielmehr geeignet sein, dem Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Akten und der Verhandlung die freie Überzeugung zu vermitteln, dass die Behauptungen - hier der Klägerin - der Wahrheit entsprechen, wobei die Überzeugung einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, erfordert (BGH, Urt. v. 28.1.2003 - VI ZR 139/02, MDR 2003, 566 = BGHReport 2003, 487). Eine solche Überzeugung kann im vorliegenden Fall nicht erlangt werden.
Der vorliegende Auffahrunfall führte nach ...