Entscheidungsstichwort (Thema)
Recht am eigenen Bild: Festnahme eines in der Öffentlichkeit bekannten Verdächtigen
Leitsatz (amtlich)
Die Festnahme eines sich selbst als "Unterweltkönig" bezeichnenden Tatverdächtigen ist ein zeitgeschichtlicher Vorgang, über den die Öffentlichkeit auch Veröffentlichung eines Fotos informiert werden darf.
Normenkette
KUG § 23 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 02.08.2005; Aktenzeichen 27 O 444/05) |
Tenor
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 2.8.2005 verkündete Urteil des LG Berlin - 27 O 444/05 - geändert:
Der Beschluss des LG Berlin vom 24.5.2005 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
(Ohne Tatbestand gem. §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO.)
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht wegen der Bildberichterstattung über seine Festnahme im B.K. vom 28.4.2005 ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu. Durch den Abdruck des Fotos wird zwar sein allgemeines Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, § 22 f. KUG). Der Kläger hat diesen Eingriff aber nach § 23 KUG hinzunehmen, da nach Abwägung der betroffenen Grundrechte die Interessen der Beklagten überwiegen, Art. 5 GG.
1. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG liegen vor, weil der berichtete Vorgang ein zeitgeschichtlich berichtenswertes Ereignis darstellt. Der Begriff der Zeitgeschichte erfasst nicht allein Vorgänge von historischer oder politischer Bedeutung, sondern wird vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her bestimmt; zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört es, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist (BVerfG v. 15.12.1999 - 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361, 391 = MDR 2000, 211; BGH v. 15.11.2005 - VI ZR 286/04, MDR 2006, 631 = BGHReport 2006, 444 = NJW 2006, 599). Danach ist die angegriffene Veröffentlichung nicht zu beanstanden.
Die Beklagte durfte über die Festnahme des Klägers unter Namensnennung und Beifügung eines Bildes berichten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfGE 35, 202, 230 ff.) sprechen erhebliche Erwägungen für eine auch die Person des Täters einbeziehende vollständige Information der Öffentlichkeit über vorgefallene Straftaten, weil Straftaten zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien überhaupt ist, und weil u.a. die Verletzung der allgemeinen Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft ein durchaus anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter begründen. Bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung gegen den damit zwangsläufig verbundenen Einbruch in den Persönlichkeitsbereich des Täters verdient für die aktuelle Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang. Wer den Rechtsfrieden bricht, durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen oder Rechtsgüter der Gemeinschaft angreift oder verletzt, muss sich nicht nur den hierfür in der Rechtsordnung verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen. Er muss grundsätzlich auch dulden, dass das von ihm selbst durch seine Tat erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit in einer nach dem Prinzip freier Kommunikation lebenden Gemeinschaft auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird.
Das BVerfG hat daraus hergeleitet, dass bei schweren Straftaten regelmäßig ein Interesse der Öffentlichkeit an einer auch die Person des Täters einbeziehenden vollständigen Information über die Straftat besteht. Dabei und auch für den Bereich sonstiger Straftaten ist zu beachten, dass der Vorrang des Informationsinteresses nicht schrankenlos besteht, vielmehr der Einbruch in die persönliche Sphäre des Täters durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt ist, so dass eine Berichterstattung unter Namensnennung und Abbildung des Täters in Fällen der Kleinkriminalität und bei Jugendlichen keineswegs immer zulässig ist. Wo konkret die Grenze für das grundsätzlich vorgehende Informationsinteresse an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles entscheiden. Bei Straftaten, die die Öffentlichkeit in besonderem Maße berühren, kann wegen der Stellung der Person des Beschuldigten und der Art der Straftat eine namentliche Berichterstattung auch unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität zulässig sein (BGH v. 15.11.2005 - VI ZR 286/04, MDR 2006, 631 = BGHReport 2006, 444 = NJW 2006, 599).
Nach diesen Grundsätzen ist ein überwiegendes Informationsinteresse zu bejahen. Dem Kläger wird vorgeworfen, in neun Fällen an der illegalen Ei...