Leitsatz (amtlich)
1. Sieht der Mietvertrag die Mietzahlung ab Übergabe der Räume an den Mieter (zum Zweck des Eigenausbaus) in einem noch nicht eröffneten Einkaufszentrum vor, liegt nach Ablauf der vorausgesetzten Ausbauzeit ein zur Minderung auf Null führender Sachmangel vor, wenn das Center nicht eröffnet wird. Verlangt der Vermieter trotz der Minderung auf Null Mietzahlung unter Berufung auf eine (der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhaltende) Klausel, die den Mieter bei Vorliegen eines streitigen Sachmangels auf einen Rückzahlungsanspruch nach § 812 BGB verweist, so kann dem entgegenstehen, dass die Berufung des Verwenders auf eine wirksame Klausel unter den besonderen Umständen des Einzelfalls gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen kann. Jedenfalls wenn der Sachmangel (die fehlende Eröffnung des Centers und die daraus folgende Gebrauchsuntauglichkeit der Mieträume) unstreitig ist, wegen der gänzlichen Gebrauchsuntauglichkeit keine Feststellungen zum Maß der Minderung erforderlich sind und die Rechtsauffassung zur Minderung auf Null bereits durch höchstrichterliche Rechtsprechung zum selben Objekt gesichert ist, ist es nicht gerechtfertigt, den Mieter - unter Inkaufnahme einer Existenzbedrohung - zur Zahlung der nach Auffassung des erkennenden Gerichts sogleich zurückzugewährenden Miete zu verurteilen.
2. Eine formularmäßige, vom Vermieter gestellte Betriebskostenumlageklausel, welche die Flächen von Großmietern nur bis zur Größe von 1.000 qm und bei zweigeschossigen Mietflächen mit 50 % der tatsächlichen Fläche berücksichtigt, verzerrt den flächenbezogenen Abrechnungsmaßstab zugunsten dieser Großmieter und ist wegen unangemessener Benachteiligung der Kleinmieter nach § 307 BGB unwirksam. Folge der Unwirksamkeit ist eine Umlage nach dem Verhältnis der tatsächlichen Gesamtmietfläche des Einkaufszentrums zu den tatsächlichen Einzelmietflächen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 02.11.2016; Aktenzeichen 29 O 50/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 02.11.2016 verkündete Schlussurteil des Landgerichts Berlin -29 O 50/15- teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 27.702,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz von 21.041,69 EUR seit dem 01.10.2013, 5.210,13 EUR vom 04.04.2014 bis 31.12.2015, 1.042,02 EUR vom 07.10.2014 bis 31.12.2015, 5.526,36 EUR seit dem 01.01.2016, 1.134,21 EUR seit dem 20.08.2016 und von jeweils 6,14 EUR vom 07.10., 06.11. und 04.12.2014 bis jeweils zum 31.12.2015 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird - unter Abweisung der zweitinstanzlichen Widerklage auf Rückzahlung von Miete in Höhe von 19.529,70 EUR und der Zwischenfeststellungsklage gemäß Schriftsatz vom 30.10.2018 - zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Beklagte zu 72 % und die Klägerin zu 28 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagte zu 60 % und die Klägerin zu 40 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jede Partei darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Beklagte war Mieterin einer Ladenfläche im Einkaufscenter "..." mit dem Mietzweck des Betriebs eines Lederwarenfachgeschäfts. Nachdem das Mietverhältnis mit fristloser Kündigung der Klägerin vom 05.11.2014 (Anl. K 13; s. Teilurteil des Landgerichts vom 23.12.2015 -29 O 50/15- und Beschluss des Senats gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vom 13.06.2016 -8 U 21/16) beendet worden war, hat die Beklagte die Mieträume am 31.07.2016 herausgegeben. Die Beklagte ist mit Schlussurteil des Landgerichts vom 02.11.2016, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, zur Zahlung von Miete (ohne Nebenkostenvorschüsse) für den Zeitraum 07.03. bis 30.09.2014 von 31.345,75 EUR, restlicher Nutzungsentschädigung von 108,48 EUR für Januar 2015, restlicher Ausbaukosten von 22.699,54 EUR und des Abrechnungssaldos von 4.655,27 EUR aus der Nebenkostenabrechnung vom 20.06.2016 (Anl. K 16) für 2014 verurteilt worden (zusammen: 58.809,04 EUR). Wegen der Differenz zwischen der ursprünglichen Klageforderung von 59.292,53 EUR und der Klageforderung gemäß Schriftsatz vom 13.10.2016 hat das Landgericht die Erledigung in Höhe von 483,49 EUR festgestellt. Die Hilfswiderklage auf "Rückzahlung" einer im Zeitraum April bis September 2014 nach Ansicht der Beklagten - entgegen der Klage - nicht geschuldeten (und von ihr nicht erbrachten) Miete von 31.874,82 EUR (6 × 5.312,47 EUR) hat das Landgericht abgewiesen.
Gegen dieses Schlussurteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt, die Hilfswiderklage auf einen Betrag von 36.459,07 EUR erweitert und um einen höchst hilfsweisen Antrag auf "Freistellung" ergänzt, und eine neue ...