Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit einer identifizierenden (Name und Bild) Berichterstattung über einen ehemaligen Polit-Offizier der Grenztruppen der DDR fünfzehn Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 28.03.2006; Aktenzeichen 27 O 1062/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird unter Abänderung des Urteils des LG Berlin vom 28.3.2006, 27. O. 1062/05, die einstweilige Verfügung des LG Berlin vom 1.12.2005 aufgehoben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller nimmt die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung einer identifizierenden Berichterstattung in der von der Antragstellerin verlegten "S. Zeitung" in der Ausgabe vom ...11.2...in Anspruch. In dem angegriffenen Artikel berichtete die Antragsgegnerin über einen gegen den Autor eines Buches gerichteten Rechtsstreit des Antragstellers (LG Berlin 27. O. 773/05), in dem sich dieser gegen eine ihn unter Namensnennung identifizierende Darstellung seiner Tätigkeit bei den Grenztruppen der DDR zur Wehr setzt.

Das LG Berlin hat die einstweilige Verfügung antragsgemäß erlassen und durch Urteil vom 28.3.2006 bestätigt.

Der Antragsgegnerin ist das Urteil des LG am 6.4.2006 zugestellt worden. Mit ihrer am 8.5.2006, einem Montag, eingelegten und am 6.6.2006 begründeten Berufung begehrt die Antragsgegnerin die Aufhebung der einstweiligen Verfügung sowie die Zurückweisung des Antrages auf ihren Erlass.

Wegen des Sachverhalts und den Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf das angegriffene Urteil Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin meint, das LG habe das "Stolpe-Urteil" des BVerfG falsch angewendet. Eine Mehrdeutigkeit des Aussageverständnisses liege hier nicht vor. Es könne nicht der Eindruck entstehen, der Antragsteller sei für die Tötung des letzten Opfers der Berliner Mauer, Chris Gueffroy, verantwortlich. Jedenfalls sei die gewählte Formulierung ein zulässiges Werturteil. Soweit dem Antragsteller eine moralische Mitverantwortung vorgeworfen würde, wäre dies auch eine wahre Tatsachenbehauptung.

Sie vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag, eine Persönlichkeitsrechtsverletzung liege nicht vor.

Die Antragstellerin beantragt, die einstweilige Verfügung des LG Berlin vom 1.12.2005 und das bestätigende Urteil des LG vom 28.3.2006, 27. O. 1062/05 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Antragsteller verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Dem Antragsteller stehen Ansprüche auf Unterlassung der identifizierenden Berichterstattung, der Zitate aus der Diplomarbeit des Antragstellers sowie der Verbreitung eines Fotos des Antragstellers nicht zu.

A. Identifizierende Berichterstattung

Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch bezüglich der durch Namensnennung identifizierenden Berichterstattung aus §§ 823, analog 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, Art. 1 und 2 Abs. 1 GG nicht zu. Der Antragsteller ist insoweit nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht beinhaltet zwar auch das Recht, in gewählter Anonymität zu bleiben und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen. Dieses Grundrecht wird jedoch auch in dieser Ausprägung nicht grenzenlos gewährt. Vielmehr können im Einzelfall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Pressefreiheit Vorrang haben.

Ob ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen vorliegt, ist anhand des zu beurteilenden Einzelfalls festzustellen; denn wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss grundsätzlich erst durch eine Güterabwägung mit den schutzwürdigen Interessen der anderen Seite bestimmt werden (BGH v. 30.9.2003 - VI ZR 89/02, BGHReport 2004, 253 = MDR 2004, 334 = NJW 2004, 596).

Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht einer Person, insbesondere einer nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person, gehört das Recht auf Anonymität. Dieses Recht folgt aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gibt einen Anspruch dagegen, persönliche Lebenssachverhalte zu offenbaren und seine Person so der Öffentlichkeit insbesondere durch Identifizierung und Namensnennung verfügbar zu machen. Danach kann der Einzelne grundsätzlich selbst darüber entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen seine persönlichen Daten in die Öffentlichkeit gebracht werden. Auch das Recht auf Anonymität ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat keine absolute, uneingeschränkte Herrschaft über "seine" Daten. Er entfaltet seine Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft. In dieser stellt die Information, auch soweit sie personenbezogen ist, einen Teil der sozialen Realität dar, der nicht auss...

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