Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Abgrenzung einer Zeitbürgschaft (§ 777 BGB) von einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft
Leitsatz (amtlich)
Dem Berufungsgericht ist auch nach dem Rechtsmittelrecht der ZPO 2002 eine unbeschränkte Überprüfung der erstinstanzlichen Vertragsauslegung dahin gestattet, ob diese bei Würdigung aller dafür im Einzelfall maßgeblichen Umstände sachgerecht erscheint, wenn es diese Auslegung zwar für vertretbar, letztlich aber nicht für sachlich überzeugend hält (BGH, Urt. v. 14.7.2004 - VIII ZR 164/03, BGHReport 2004, 1366).
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 09.01.2003; Aktenzeichen 12 O 323/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten zu 2) wird das am 9.1.2003 verkündete Versäumnisteil- und Schlussurteil der Zivilkammer 12 des LG Berlin - 12 O 323/02 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.a) Die Beklagten werden verurteilt, wie Gesamtschuldner an die Klägerin 3.585,55 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.6.2002 zu zahlen.
b) Die Beklagte zu 1) wird weiter verurteilt, an die Klägerin19.486,38 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.216,96 Euro seit dem 25.7.2000, aus jeweils 2.338,61 Euro seit dem 25.8., 25.9., 25.10. und 25.12.2000, aus jeweils 2.970,11 Euro seit dem 25.2., 25.6. und 25.8.2001 zu zahlen.
Die Beklagte zu 1) wird weiter verurteilt, an die Klägerin 10.756,65 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 3.585,55 Euro seit dem 25.9., 25.10. und 25.11.2001 sowie vom 25.12.2001 bis 11.6.2002 zu zahlen.
c) Der Beklagte zu 2) wird weiter verurteilt, an die Klägerin 3.456,93 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten wie Gesamtschuldner 10 %, die Beklagte zu 1) allein weitere 41 %, der Beklagte zu 2) allein weitere 5 % und die Klägerin 44 %. Die Beklagte zu 1) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) tragen dieser 17 % und die Klägerin 83 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung des Beklagten zu 2), mit der dieser seine Verurteilung durch das im Tenor bezeichnete Urteil, auf dessen Inhalt verwiesen wird, wegen eines Teilbetrages von 19.486,38 Euro nebst anteiliger Zinsen angreift, ist zulässig und hat in vollem Umfang Erfolg.
A. Der Klägerin steht gegen den Beklagten zu 2) kein Anspruch gem. §§ 765, 767, 535 BGB auf Zahlung rückständiger Mieten bis einschließlich August 2001 i.H.v. 19.486,38 Euro zu.
Zu Recht rügt der Beklagte zu 2), dass die vom LG vorgenommene Auslegung der von ihm am 28.7.1999 unterzeichnete Bürgschaftserklärung bei Würdigung aller dafür maßgeblichen Umstände nicht sachgerecht ist.
1. Dem Berufungsgericht obliegt auch nach dem neuen Rechtsmittelrecht eine unbeschränkte Überprüfung der vorinstanzlichen Vertragsauslegung dahin, ob diese bei Würdigung aller dafür im Einzelfall maßgeblichen Umstände sachgerecht erscheint, wenn es die erstinstanzliche Auslegung zwar für vertretbar, letztlich aber nicht für sachlich überzeugend hält (BGH, Urt. v. 14.7.2004 - VIII ZR 164/03, BGHReport 2004, 1366).
Das Berufungsgericht hat deshalb die Auslegung einer Individualvereinbarung durch das erstinstanzliche Gericht in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob die Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit überzeugt. Die Parteien haben deshalb im Berufungsrechtszug auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts Anspruch darauf, dass das Berufungsgericht eine Individualvereinbarung - ohne Bindung an deren Auslegung durch die Vorinstanz - in der Weise auslegt, wie es das Berufungsgericht selbst im Interesse einer gerechten Entscheidung des Einzelfalles für überzeugend und richtig hält.
2. Hiernach kann die vom LG vorgenommene Auslegung der Bürgschaftserklärung keinen Bestand haben.
a) Wird einer Bürgschaft durch Individualvereinbarung eine zeitliche Begrenzung hinzugefügt, kann das - wie das LG auf Seite 7 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt hat - einerseits den Sinn eines Endtermins (§ 163 BGB) haben, nach dessen Ablauf die Verpflichtung des Bürgen erlöschen soll (Zeitbürgschaft gem. § 777 BGB). Die Begrenzung kann andererseits aber auch die Verbindlichkeit, für die der Bürge sich verbürgt, dahin näher bestimmen, dass der Bürge nur für die innerhalb einer bestimmten Zeit begründeten Verbindlichkeiten, für diese aber unbefristet, einstehen will (gegenständlich beschränkte Bürgschaft). Welche Art von Bürgschaft gewollt ist, ist durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, wobei der Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast für den von ihm behaupteten Inhalt der Bürgschaft trägt (BGH, Urt. v. 15.1.2004 - IX ZR 152/00, MDR 2004, 891 = BGHReport 2004, 892 = WM 2004, 720 = ZPI 2004, 843 = BB 2004, 850).
b) Zu den anerkannten Aus...