Leitsatz (amtlich)
Ein Mieter, der nicht mitvermietete Gemeinschaftsflächen nutzt, erlangt durch den Gebrauch dieser Flächen keinen Mitbesitz und kann damit in Bezug auf diese Gemeinschaftsflächen auch keine Besitzschutzansprüche gegenüber dem Vermieter geltend machen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 31.05.2012; Aktenzeichen 32 O 213/12) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das am 31.5.2012 verkündete Urteil der Zivilkammer 32 des LG Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
Die Berufung der Verfügungsklägerin ist unbegründet. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
I. Der Antrag zu 2. auf Rückgängigmachung der Baumaßnahmen und Wiederherstellung des früheren Zustands ist unzulässig.
Die Verfügungsklägerin begehrt insoweit die Erfüllung des von ihr geltend gemachten Anspruchs, d.h. eine sog. Leistungs- oder Befriedigungsverfügung. Voraussetzung dafür ist, dass der Gläubiger auf die sofortige Erfüllung dringend angewiesen ist, z.B. weil er sich in einer Not- oder Zwangslage befindet. Die Leistungsverfügung ist ferner in den Fällen zulässig, in denen die geschuldete Handlung so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 940 Rz. 6). Anerkannt ist, dass durch eine einstweilige Verfügung die Herausgabe von Gegenständen im Rahmen des Besitzschutzes gem. §§ 858 und 861 BGB verlangt werden kann (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 940 Rz. 8, Stichwort: "Herausgabe und Sequestration, Räumung und Besitzschutz"). Die Voraussetzungen eines Herausgabeanspruchs wegen Besitzentziehung i.S.d. § 861 BGB liegen hier jedoch nicht vor.
1) Bei Raummietverhältnissen umfasst die Leistungspflicht des Vermieters die Mitüberlassung derjenigen Teile des Gebäudes und des Grundstücks, die zum ungestörten Mietgebrauch erforderlich sind. Auf ausdrückliche Vereinbarungen kommt es insoweit nicht an. Die Rechtsprechung erkennt ein Recht auf Mitbenutzung der Gemeinschaftsflächen an (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2006 - V ZR 46/06, NJW 2007, 146, Rz. 9, zitiert nach Juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5.5.2009, I-24 U 153/08 und 24 U 153/08 = Grundeigentum 2009, 1187, Rz. 36, zitiert nach Juris). Erfasst sind Zugangswege, Eingangstüren, Aufzüge, das Treppenhaus und Flure (vgl. Häublein in MünchKomm/BGB, Band 3, 6. Aufl. 2012, § 535 Rz. 70; Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl. 2012, § 535 Rz. 16; Schmidt-Futterer/Eisenschmidt, Mietrecht, 10. Aufl. 2011, § 535 BGB Rz. 25). Diese Flächen und Räume, die der Mieter nur mitbenutzen darf, sind jedoch nicht mitvermietet (vgl. KG, Urt. v. 3.12.1998 - 8 U 3716/98 = Grundeigentum 1999, 252, Rz. 41, zitiert nach Juris).
Dabei ist strittig, ob der Mieter durch den Gebrauch Mitbesitz erlangt und damit Besitzschutzansprüche gegenüber dem Vermieter geltend machen kann (ablehnend Bub/Treier/Krämer, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummieter, 3. Aufl. 1999, Kap. III, Rz. 1171; zustimmend MünchKomm/Joost, Band 6, 5. Aufl. 2009, § 866 Rz. 3).
Nach Auffassung des erkennenden Senates scheiden Besitzschutzansprüche bereits mangels Mitbesitz aus. Der Münchener Kommentar stützt seine Auffassung, dass Mieter an Gemeinschaftsflächen Mitbesitz hätten, u.a. auf eine Entscheidung des BGH v. 26.3.1974 - VI ZR 103/72 (BGHZ 62, 243). Diese Entscheidung spricht aber gerade gegen die Annahme von Mitbesitz an Gemeinschaftsflächen bei einer Fallkonstellation wie der vorliegenden. In dem vom BGH entschiedenen Fall stand ein Aufzug abgesehen von gelegentlicher Mitbenutzung durch den Vermieter nur den beiden Mietern zur Verfügung. Zudem war seine Überlassung Gegenstand einer besonderen mietrechtlichen Vereinbarung. Anders liegt der Fall hier. Der Eingangsbereich wird von einer Vielzahl von Mietern genutzt, ohne dass der Nutzung eine besondere mietrechtliche Vereinbarung zugrunde liegen würde. Die Mieter haben hier ein Recht zur Mitbenutzung, aber keinen Mitbesitz. Mit dem BGH ist davon auszugehen, die Annahme von Mitbesitz aller Mieter an Aufzug und ähnlichen Einrichtungen regelmäßig nicht der tatsächlichen Gestaltung entspricht.
2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Verfügungsklägerin zitierten Entscheidung des AG Wolgast vom 12.11.1993 - 544/93 - (WuM 1994, 265). Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Vermieter bauliche Maßnahmen an den gemieteten Wohnräumen gegen den Willen des Mieters durchführte. Dabei wurde der Eingangsvorbau entfernt, so dass die Wohnung nicht mehr abgeschlossen war. Wenn der Mieter aus den Wohnräumen kommend Küche und Bad benutzen wollte, musste er ins Freie treten. Das Urteil des AG Wolgast betrifft somit nicht Gemeinschaftsanlagen, sondern die konkrete Mietsache selbst, an welcher der Mieter unmittelbaren Besitz gem. § 854 Abs. 1 BGB hat.
3) Schließlich kann sich die Verfügungsklägerin nicht auf das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache berufen. Dieses Verbot bezieht sich nur au...