Leitsatz (amtlich)

Wird in den Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung die Frage, wann vollständige Berufsunfähigkeit vorliegt, dahin beantwortet, dass sie vorliegt, "wenn die versicherte Person infolge Krankheit ... 6 Monate ununterbrochen außerstande war oder voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben" (Nr. 1.2.1 AVB), so tritt der Versicherungsfall auch bei der ersten Alternative ("6 Monate ... war") bereits mit dem Beginn des Sechsmonatszeitraums ein; für diese Auslegung aus der Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers spricht auch die weitere Bestimmung in Nr. 2.4.1 AVB, wonach der Anspruch auf Leistungen "mit Beginn des Kalendermonats nach Eintritt der Berufsunfähigkeit (= Beginn des sechsmonatigen Zeitraums gemäß Abschnitt 1.2.1)" beginnt.

 

Normenkette

AVB BU Nr. 1 2 1; AVB BU Nr. 2 4 1; VVG §§ 1, 172

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 04.06.2019; Aktenzeichen 7 O 177/18)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin vom 4. Juni 2019 wird auf seine Kosten bei einem Wert des Berufungsverfahrens von 35.499,75 Euro zurückgewiesen.

Dieses sowie das Urteil des Landgerichts Berlin sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 105 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Mit der vorliegenden, am 7. August 2016 zugestellten Klage macht der Kläger gegenüber der beklagten Versicherungsgesellschaft Ansprüche auf Zahlung einer weiteren Berufsunfähigkeitsrente nebst Zinsen sowie vorgerichtlicher Anwaltskosten geltend.

Die Parteien schlossen mit Wirkung zum 1. Oktober 2009 auf der Grundlage der "Allgemeine Bedingungen für die Berufungsunfähigkeitsversicherung ... Stand: 07.2009" (Anlage K 1) eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit Nachversicherungsgarantie, durch die dem Versicherungsnehmer das Recht eingeräumt wird, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen den Versicherungsumfang der bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung ohne erneute medizinische Risikoprüfung zu erhöhen.

Am 29. Juli 2016 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, welcher zu einem massiven Bandscheibenschaden führte. Seitdem ist der Kläger nicht mehr arbeitsfähig.

Am 11. Oktober 2016 stellte der Kläger bei der Beklagten einen "Antrag auf Inanspruchnahme der Nachversicherungsgarantie (NVG)" zur Erhöhung des Versicherungsschutzes um 100 % auf den maximal möglichen Betrag. Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin den Nachtrag vom 18. Oktober 2016 mit Wirkung zum 1. November 2016 (Anlage K 2); als "Vertragsgrundlage" sind dort ebenfalls die "Allgemeine Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (AVB-HV) - AVB_EV_SBU_2009_07" (im Folgenden: AVB) vereinbart. Diese lauten auszugsweise wie folgt:

"1.1 Wann beginnt der Versicherungsschutz?

Der Versicherungsschutz beginnt, wenn der Vertrag geschlossen ist, jedoch nicht vor dem ... vereinbarten, im Versicherungsschein angegebenen Versicherungsbeginn.

...

1.2 Wann liegt vollständige Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen vor?

1.2.1 Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit ... 6 Monate ununterbrochen außerstande war oder voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf ... auszuüben.

2 Leistungen

...

2.1.1 Wird die versicherte Person während der Dauer dieser Versicherung, frühestens nach Beginn des Versicherungsschutzes, berufsunfähig, erbringen wir ... folgende Leistungen:

...

2.1.2 Wir zahlen die zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit vereinbarte Rente ...

2.4 Ab wann werden Leistungen gewährt?

...

2.4.1 Der Anspruch auf Leistungen entsteht mit Beginn des Kalendermonats nach Eintritt der Berufsunfähigkeit (= Beginn des sechsmonatigen Zeitraums gemäß Abschnitt 1.2.1) ..."

Anfang Dezember 2016 meldete der Kläger einen Leistungsanspruch wegen Berufsunfähigkeit bei der Beklagten an, die ihm daraufhin mit Schreiben vom 9. Dezember 2016 (Anlage BLD 3) einen von dem Kläger unter dem 22. Juni 2017 ausgefüllten Vordruck "Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit" (Anlage BLD 8= Bl. 59 ff. Bd. II d. A.) zukommen ließ.

Mit Schreiben vom 5. September 2017 (Anlage K 3) erkannte die Beklagte die Berufsunfähigkeit des Klägers mit Beginn am 29. Juli 2016 an und bewilligte Rentenleistungen und Beitragsbefreiung ab dem 1. August 2016.

Seitdem zahlt die Beklagte an den Kläger die sich aus dem ursprünglichen Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag ergebende monatliche Rente von 546,15 EUR zuzüglich Bonusrente in Höhe von 0,81 EUR seit dem 1. September 2016 und in Höhe von 1,63 EUR ab dem 1. September 2017; insoweit besteht zwischen den Parteien auch kein Streit.

Der Kläger vertritt die Auffassung, bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sei erst sechs Monate nach dem Unfall ...

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