Leitsatz (amtlich)

1. Beabsichtigt ein Gläubiger, eine ihm als Sicherheit übergebene Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch zu nehmen, so kann ihm der Hauptschuldner dies im Wege der einstweiligen Verfügung mit der Maßgabe untersagen lassen, dass der Gläubiger zuvor eine zugunsten des Hauptschuldners bestehende und liquide feststellbare Einrede auszuräumen hat.

2. Wenn und soweit die Rückerstattung einer Vorauszahlung auf den Werklohn dazu führt, dass der Werklohnanspruch des Unternehmers offen und unbesichert ist, kann ein Bauunternehmer seinen Sicherungsanspruch aus § 650f Abs. 1 BGB gegenüber dem Rückerstattungsgläubiger im Wege der Einrede geltend machen.

3. Die Höhe des Sicherungsanspruchs aus § 650f Abs. 1 BGB ist in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in freier Überzeugung ohne Beweisaufnahme, also "liquide" feststellbar.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 29 O 274/20)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 2020 unter Aufhebung der Kostenentscheidung wie folgt abgeändert:

1. Der Verfügungsbeklagten wird es einstweilen untersagt, die R Versicherung aus ihrer

Bürgschaft Nr. 406 ... (Betrag: 170.000,00 EUR)

über einen Betrag von 120.000,00 EUR hinaus in Anspruch zu nehmen, es sei denn sie leistet der Verfügungsklägerin Zug um Zug in Höhe des überschießenden Betrags Sicherheit für deren Vergütungsansprüche einschließlich eventueller Zusatzaufträge und Nebenforderungen aus dem

Bauvertrag zwischen den Parteien vom 26. März 2020 über Herstellung, Lieferung und Montage von Natursteinbrüstungen betreffend das Bauvorhaben G-Straße, Berlin.

2. Für den Fall der Zuwiderhandlung werden der Verfügungsbeklagten ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 EUR und Ordnungshaft angedroht.

3. Der weitergehende Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

II. Die weitergehende sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens über beide Instanzen haben die Verfügungsklägerin zu 2/3, die Verfügungsbeklagte zu 1/3 zu tragen.

 

Gründe

I. Die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) beauftragte die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) mit der Lieferung und Montage von Natursteinbrüstungen auf dem Bauvorhaben G-Straße, Berlin (Anlage A 6). Daneben beauftragte die Beklagte die Klägerin in weiteren Bauverträgen mit anderen Leistungen.

Gegen die Übergabe der im Tenor genannten Bürgschaft auf erstes Anfordern (Anlage A 23) leistete die Beklagte eine Vorauszahlung von 170.000,00 EUR an die Klägerin.

Mit Schreiben vom 21. September 2020 (Anlage A 12) erklärte die Beklagte, den Vertrag mit der Klägerin über die Natursteinbrüstungen aus wichtigem Grund zu kündigen

Die Klägerin ist der Ansicht, es bestehe kein wichtiger Kündigungsgrund, sodass ihr nun die volle vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen zustehe. Diese belaufe sich auf insgesamt 261.460,00 EUR, unter Berücksichtigung der Vorauszahlung von 170.000,00 EUR auf noch offene 91.460,00 EUR (gemäß § 13b UStG ohne USt.).

Die Beklagte nimmt nun die R-Versicherung AG (im Folgenden: Versicherung) aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch. Die Versicherung hat der Klägerin mit Schreiben vom 26. November 2020 angekündigt, Zahlung zu leisten, sollte die Klägerin nicht eine gerichtliche Eilentscheidung erwirken (Anlage A 32).

Die Klägerin hat darauf bei dem Landgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, mit der der Beklagten untersagt wird, die Versicherung aus der Bürgschaft in Anspruch zu nehmen. Das Landgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 21. Dezember 2020 zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin und verfolgt ihren Antrag mit der sofortigen Beschwerde weiter. Das Landgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.

Der Senat hat die Zustellung der Antragsschrift an die Beklagte verfügt, einen Termin zur mündlichen Verhandlung über den Antrag der Klägerin anberaumt und hat der Beklagten bis dahin durch einstweilige Anordnung vom 29. Januar 2021 untersagt, die Bürgschaft in Anspruch zu nehmen. Die Beklagte verteidigt sich gegen den Antrag und begehrt sinngemäß, die sofortige Beschwerde der Klägerin zurückzuweisen.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.

Richtet sich eine sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Antrags auf einstweilige Verfügung kann der Senat über das Rechtsmittel nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheiden (KG, Urteil vom 20. August 2019, 21 W 17/19 m.w.N.). Von diesem Vorgehen macht der Senat im vorliegenden Fall Gebrauch, da es sachgerecht ist.

1. Verfügungsanspruch

Der Klägerin steht der geltend gemachte Verfügungsanspruch jedenfalls teilweise zu.

a) Hat ein Sicherungsschuldner eine Sicherheit in Form einer Bürgschaft auf erstes Anfordern geleistet, so hat er grundsätzlich zu dulden, dass der Sicherungsgläubiger den Bürgen in Anspruch nimmt,...

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