Normenkette

ZPO § 181 Abs. 1, § Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 21 O 426/01)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 9.4.2002 verkündete Urteil des LG Berlin – 21 O 426/01 – aufgehoben.

Die Sache wird an das LG zur weiteren Verhandlung auch hinsichtlich einer Entscheidung über die Kosten der Berufung zurückverwiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO (entspr.), §§ 542544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 517, 519, 520 ZPO), mithin zulässig. Sie ist insoweit begründet, als der Beklagte die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das LG begehrt.

Nach § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, zurückverweisen, wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Das LG hat den Einspruch des Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid des AG Wedding – Geschäftsnummer: 01-1051662-0-4 – als unzulässig verworfen. Zwar hat es im Tenor zu 1. des angefochtenen Urteils den Einspruch „zurückgewiesen”, allerdings ergibt sich aus den Entscheidungsgründen, dass das Gericht den Einspruch als verspätet erachtet hat, so dass er gem. § 341 Abs. 1 S. 2 ZPO zu „als unzulässig zu verwerfen” gewesen wäre.

Soweit das LG die Ansicht vertritt, dass der Einspruch nicht rechtzeitig eingelegt worden sei, begegnet dies durchgreifenden Rechtsbedenken. Nach §§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 ZPO beträgt die Einspruchsfrist zwei Wochen; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Vollstreckungsbescheides. Entgegen der Auffassung des LG ist der Vollstreckungsbescheid nicht wirksam zugestellt worden.

Insoweit ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

1. Wenn ein Zustellungsempfänger in seiner Wohnung nicht angetroffen wird und das zuzustellende Schriftstück dort auch nicht an eine Hilfsperson übergeben werden kann (§ 181 Abs. 1 und 2 ZPO), kann die Zustellung nach § 182 ZPO u.a. in der Weise erfolgen, dass das zu übergebende Schriftstück bei der Postanstalt niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung hierüber in den Briefkasten geworfen wird. Unabdingbare Voraussetzung für eine wirksame Zustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt ist, dass die Zustellung in der Wohnung des Zustellungsempfängers versucht worden ist.

Für den Begriff der Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften kommt es auf das „tatsächliche Wohnen” an, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und dort auch schläft. Hat der Zustellungsempfänger Räume in dieser Weise genutzt, hebt nicht jede vorübergehende Abwesenheit, selbst wenn sie länger dauert, die Eigenschaft jener Räume als einer Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften auf. Diese Eigenschaft geht vielmehr erst verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustellungsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert. Ob das der Fall ist, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilen (BGH v. 13.10.1993 – XII ZB 48/93, NJW-RR 1994, 565).

2. Für die Frage, ob die Wohnung aufgegeben worden ist, kann nicht allein auf die bloße Absicht des Wohnungsinhabers abgestellt werden, dort künftig nicht mehr wohnen zu wollen. Der Wille zur Aufgabe der Wohnung muss vielmehr nach außen erkennbar in seinem Verhalten Ausdruck gefunden haben. Zwar setzt die Aufgabe der Wohnung nicht voraus, dass ihr Inhaber alle Merkmale beseitigt, die den Anschein erwecken können, er wohne dort auch weiterhin. Der Aufgabewille muss aber, wenn auch nicht gerade für den Absender eines zuzustellenden Schriftstückes oder für den mit der Zustellung beauftragten Postbediensteten, so doch jedenfalls für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar sein. Darauf kann schon deshalb nicht verzichtet werden, weil sonst Möglichkeiten der Manipulation eröffnet würden (BGH v. 27.10.1987 – VI ZR 268/86, MDR 1988, 218 = NJW 1988, 713). Wird mit der Absicht zur Aufgabe der bisherigen Wohnung eine neue Wohnung an anderer Stelle genommen, wird schon damit regelmäßig die Aufgabe hinreichend deutlich verlautbart, falls nicht bestimmte Umstände darauf hinweisen, dass lediglich eine Zweitwohnung begründet werden soll. Dafür wird u.a. von Bedeutung sein können, ob und welche Teile der persönlichen Habe der Betreffende in die neue Wohnung mitgenommen hat; auch wird vielfach sein späteres Verbleiben in dieser Wohnung einen Rückschluss darauf zulassen, dass er mit dem dortigen Einzug seine frühere Wohnung endgültig aufgeben wollte.

3. Die Beweislast eines Rechtsmittelführers beschränkt sich auf diejenigen Maßnahmen, die ihm selbst obliegen. Dazu gehört aber nicht die Voraussetzung, dass eine Rechtsmittelfrist überhaupt zu laufen begonnen hat. Dass die Merkmale des § 182 ZP...

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