Leitsatz (amtlich)
Will der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges für den gesamten Bereich einer ampelgeregelten Kreuzung Wegerecht in Anspruch nehmen, so muss er blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn nicht nur rechtzeitig einschalten, sondern auch so lange eingeschaltet lassen bis er den Kreuzungsbereich vollständig verlassen hat.
Schaltet der Sonderrechtsfahrer bei Einfahrt in eine für ihn durch Rotlicht gesperrte Kreuzung das Signalhorn erst in einem räumlichen Abstand von etwa 13,5m und zeitlichen Abstand von 4,9 sec. vor der Kollision für lediglich eine Tonfolge von ca. 3 sec. Dauer dem Blaulicht zu, so geschieht dies nicht so rechtzeitig, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer dem Gebot des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO hätten nachkommen können, "sofort freie Bahn zu schaffen".
Je mehr der Sonderrechtsfahrer von den Verkehrsregeln abweicht, umso mehr muss er Warnzeichen geben und sich vergewissern, dass der Verkehr sie befolgt.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 14.06.2006; Aktenzeichen 24 O 626/04) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 14.6.2006 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin - 24 O 626/04 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 5.041,10 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.5.2004 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz sind die folgt zu tragen:
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers haben der Kläger und der Beklagte zu 2) zu je 50 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) hat der Kläger zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) hat dieser selbst zu tragen.
Die Kosten des zweiten Rechtszuges hat der Beklagte zu 2) zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache vollen Erfolg.
Entgegen der Ansicht des LG haftet das beklagte Land in vollem Umfang für die bei dem Verkehrsunfall vom 13.4.2004 am Fahrzeug des Klägers mit dem polizeilichen Kennzeichen ... entstandenen Schäden. (§§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 839 BGB, Art. 34 GG). Der Fahrer des von dem Beklagten zu 2) gehaltenen Polizeifahrzeuges vom Typ BMW mit dem polizeilichen Kennzeichen ..., der frühere Beklagte zu 1), hat die für ihn durch Rotlicht gesperrte Kreuzung "Landsberger Allee/Weißenseer Weg" in Berlin überquert und dadurch den Unfall verursacht. Dem LG kann nicht darin gefolgt werden, wenn es meint, der Kläger habe gegen seine Verpflichtung verstoßen, dem Beklagten zu 1) als Fahrer des Einsatzfahrzeugs des Beklagten zu 2) nach § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO freie Bahn zu schaffen.
1. Auszugehen ist von den folgenden Grundsätzen, die der ständigen Rechtsprechung des Senats entsprechen und dem beklagten Land aus mehreren Rechtsstreiten (u.a. KG vom 6.1.2003, AZ 12 U 138/01; Urteil vom 12.4.2001, AZ 12 U 14/99) bekannt sind:
a) Für das Überqueren einer durch Rotlicht gesperrten Kreuzung kann ein Vorrang eines Dienstfahrzeuges durch rechtzeitiges Einschalten von Blaulicht und Martinshorn geschaffen werden (ständige Rechtsprechung BGHZ 63, 327 = NJW 1975, 648; KG DAR 1975, 78 = VersR 1976, 887; DAR 1976, 16 = VersR 1976, 193; VerkMitt 1998, 36 = NZV 1989, 192 = VersR 1989, 268; VerkMitt 1998, 14 = MDR 1997, 1121; VerkMitt 1998, 90). Dieses Wegerecht wird durch die Signale Martinshorn und Blaulicht eines Einsatzfahrzeuges ausgelöst, und das Gebot nach 38 Abs. 1 Satz 2 StVO, freie Bahn zu schaffen, ist von den anderen Verkehrsteilnehmern unbedingt und ohne Prüfung des Wegerechts zu befolgen (KG VerkMitt 1998,14 = MDR 1997, 1121).
b) Will der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges an einer ampelgeregelten Kreuzung Wegerecht in Anspruch nehmen, so muss er die Signale Martinshorn und Blaulicht seines Einsatzfahrzeuges rechtzeitig vor Überqueren der für ihn maßgeblichen Haltelinie einschalten. Auf Höhe dieser Haltelinie beginnt der Bereich der Kreuzung, in dem sich andere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Fahrzeuge des Querverkehrs befinden können, welche - obwohl die Ampel für sie grünes Licht abstrahlt - dem Einsatzfahrzeug das Wegerecht gewähren sollen (Senat, VerkMitt 1982, Nr. 46). Nur ein längere Zeit vor einer Kreuzung eingeschaltetes Einsatzhorn muss grundsätzlich von einem aufmerksamen Verkehrsteilnehmer wahrgenommen werden (Senat, KGReport 1997, 211).
aa) Dem Fahrer eines Einsatzfahrzeuges muss hierbei immer bewusst sein, dass andere Verkehrsteilnehmer der Verpflichtung des § 38 Abs. 2 StVO, ihm freie Bahn zu schaffen, erst nachkommen können, nachdem sie diese Signale wahrgenommen haben oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätten wahrnehmen müssen (vgl. Senat, VerkMitt 1981, 95).
bb) Der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs kann nicht damit rechnen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihre Fahrzeuge, wenn sie die Signale bemerken, von einem Augenblick zum anderen zum Stehen bringen oder die sonst gebotenen Maßnahmen treffen (Senat, VerMitt 1981, 95; Senat KGReport 2003, 250). Zwar sind die ander...