Rz. 56
Die Fachgerichte gehen zur Entscheidung eines Streitfalls nach folgendem Schema vor, anhand dessen dargestellt werden soll, welche Partei bei einer Eigenbedarfskündigung welche Tatsachen vortragen muss:
- Die Klage muss schlüssig sein, d. h., der Vortrag des Klägers muss die ihm begehrte Rechtsfolge rechtfertigen, wobei zunächst die Behauptungen (Angabe von Tatsachen) des Klägers als wahr unterstellt werden. Sind schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt, muss die Klage abgewiesen werden, ohne dass es auf ein Bestreiten oder weiteren Vortrag des Beklagten ankommt.
- Ist die Klage schlüssig, müssen die Einwendungen (Behauptung von Tatsachen) des Beklagten daraufhin überprüft werden, ob sie erheblich sind, d. h. geeignet sind, den geltend gemachten Anspruch des Klägers zu Fall zu bringen. Auch in diesem Zusammenhang werden die Behauptungen des Beklagten zunächst als wahr unterstellt. Sind die Einwendungen des Beklagten unerheblich, muss der geltend gemachte Anspruch dem Kläger zugesprochen werden, ohne dass es auf eine Beweisaufnahme über die gegensätzlichen Tatsachenbehauptungen ankommt.
- Ist die Klage schlüssig und sind die Einwendungen des Beklagten erheblich, tritt das Gericht in die Beweisaufnahme ein. Je nach Ergebnis der Beweisaufnahme nach Würdigung der Beweismittel (z. B. Würdigung von Zeugenaussagen) wird der geltend gemachte Anspruch zuerkannt oder die Klage abgewiesen. In diesem Zusammenhang ist es auch von Bedeutung, wer die Beweislast und demnach die Last des fehlenden Beweises zu tragen hat.
Der Mieter darf den behaupteten Eigenbedarf grundsätzlich mit Nichtwissen bestreiten (AG Berlin-Tempelhof/Kreuzberg, Beschluss v. 29.4.2021, 5 C 245/20, ZMR 2021, 679). Sind insoweit jedoch situationsbedingter Grund und Wohnbedarf vom Vermieter dargelegt, kommt es darauf an, ob entweder der Grund oder der Wohnbedarf vom Mieter substanziiert bestritten worden sind. Je konkreter der situationsbedingte Grund und der daraus resultierende Wohnbedarf dargestellt werden, umso genauer muss der dies bestreitende Vortrag des Mieters sein. Handelt es sich um innere Tatsachen, ist ein Bestreiten mit Nichtwissen zulässig Bei einem substanziierten Bestreiten des Eigennutzungswunsches ist dann über den situationsbedingten Grund und den Wohnbedarf Beweis zu erheben (zweites Stadium). Insoweit kann z. B. der Haushaltsangehörige oder Familienangehörige, für den Eigenbedarf geltend gemacht wird, darüber vernommen werden, ob er die gekündigte Wohnung für den angegebenen Zweck nutzen will (Selk, ZMR 2018, 978, II 2.a). Ist z. B. Eigenbedarf für den Sohn des Vermieters mit der Begründung geltend gemacht worden, dieser wolle mit seiner Verlobten in die Wohnung einziehen, so kann sowohl der Sohn als auch dessen Verlobte darüber vernommen werden, ob die Beziehung weiter besteht und sie in die gekündigte Wohnung einziehen wollen. Wird nach einer Kündigung wegen Eigenbedarfs für die minderjährige Tochter diese als Zeugin vernommen, kann die Würdigung der Aussage auch nach dem persönlichen Eindruck durch das Gericht ergeben, dass ein ernsthafter und endgültiger Wunsch, einen neuen Lebensmittelpunkt zu begründen, nicht besteht (LG Berlin, Beschluss v. 19.2.2018, 65 S 241/17, GE 2018, 1000). Das Gericht muss davon überzeugt werden, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Bedarfsperson die Wohnung nutzen wollte (AG München, Urteil v. 6.12.2018, 422 C 14015/18, ZMR 2019, 770).
Widersprüchliche Angaben
Sind die Angaben des kündigenden Vermieters und die Bekundungen des Zeugen zur behaupteten beengten Wohnsituation vage und in Einzelheiten widersprüchlich, ist die Räumungsklage abzuweisen (LG Berlin, Urteil v. 2.10.2020, 63 S 192/19, GE 2020, 1496).
Eine Parteivernehmung des auf Räumung klagenden Vermieters kommt dann in Betracht, wenn der auf Räumung verklagte Mieter dieser Parteivernehmung zustimmt (§ 447 ZPO); dieses Einverständnis wird jedoch im Regelfall fehlen. Eine Vernehmung gemäß § 448 ZPO von Amts wegen hat zu unterbleiben, wenn es insoweit an dem erforderlichen Anscheinsbeweis im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für den von dem Vermieter behaupteten Eigennutzungswunsch fehlt. Selbst eine bloße informatorische Parteianhörung (§ 141 ZPO) hat zu unterbleiben, wenn Beweismittel oder Indizien vorliegen, die den dem Prozessgegner günstigen Gegenvortrag stützen (LG Berlin, Urteil v. 18.10.2013, 63 S 87/13, WuM 2014, 44). Eine Parteieinvernahme des Vermieters nach § 448 ZPO oder seine Parteianhörung nach § 141 ZPO ist allenfalls dann veranlasst, wenn er sich in einer anders nicht zu beseitigenden Beweisnot befindet (LG Berlin, Urteil v. 25.9.2014, 67 S 198/14, WuM 2014, 677). Für die zur Begründung der Kündigung angegebenen Tatsachen ist der Vermieter beweispflichtig (AG Hamburg, Urteil v. 5.4.2012, 40a C 426/11, ZMR 2013, 967). Der Vermieter, der die für das Alter erworbene Eigentumswohnung kündigt, weil er seine Hausmeisterwohnung wegen Alters und körperlicher Behinderung in se...