Rz. 79
Die Beurteilung der Frage, ob dem Eigentümer/Vermieter durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entsteht, ist vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen. Die erforderliche Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Eigentümers/Vermieters entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; sie lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation der Vermieterin treffen (vgl. BGH, Urteil v. 9.2.2011, VIII ZR 155/10, GE 2011, 478; LG Berlin II, Beschluss v. 11.3. 2024, 67 S 289/23, GE 2024, 449; Anschluss an BVerfG, Beschluss v. 12.11.2003, 1 BvR 1424/02, ZMR 2004, 95, juris Tz. 16). Dabei gewährt das Eigentum dem Vermieter/Eigentümer keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen (BGH, Urteil v. 27.9.2017, VIII ZR 243/16, NZM 2017, 756 m. w. N.). So wenig die Eigentümerin als Vermieterin einen Anspruch darauf hat, aus der Mietwohnung die höchstmögliche Rendite zu erzielen, so wenig hat sie bei jedwedem wirtschaftlichen Nachteil einen Anspruch auf Räumung (AG Berlin-Mitte, Urteil v. 17.8.2023, 25 C 80/23, BeckRS 2023, 29048).
Überwiegen die erheblichen materiellen und immateriellen Nachteile des Mieters die dem Vermieter durch einen Fortbestand des Mietverhältnisses entstehenden wirtschaftlichen Einbußen, ist die Kündigung nicht berechtigt; ein dem Vermieter günstigeres Abwägungsergebnis wäre allenfalls dann gerechtfertigt, wenn er dem Mieter bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Vermeidung der wesentlichen kündigungsbedingten Nachteile angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen angeboten oder vermittelt hätte (LG Berlin II, Beschluss v. 11.3.2024, 67 S 289/23, a. a. O.).
Da das Interesse an freier wirtschaftlicher Verfügbarkeit über das Wohnungseigentum einen geringeren Personalbezug als dasjenige hat, eine Wohnung selbst zu nutzen oder Familienangehörigen zur Verfügung zu stellen, können die zur Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) entwickelten Grundsätze nicht ohne Weiteres auf diese Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung übertragen werden. Die Tatsache, dass der Eigentümer den Mietvertrag abgeschlossen hat und damit auch auf die Belange des Mieters Rücksicht nehmen muss, rechtfertigt es zwar, ihm nicht schon bei jedem wirtschaftlichen Nachteil einen Anspruch auf Räumung zu gewähren. Die Einbußen dürfen jedoch keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Fall des Verlustes der Wohnung erwachsen. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass Eigentümer vermieteter Wohnungen wegen derer sozialer Funktion in verstärktem Umfang Einschränkungen ihrer Verfügungsbefugnis hinzunehmen haben. Jedoch darf die Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht derart einengend ausgelegt werden, dass die Substanz des Eigentums des Vermieters ausgehöhlt wird. Der Anwendungsbereich des § 573 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 BGB darf nicht auf Fälle anderenfalls zu befürchtenden Existenzverlustes reduziert werden. Vielmehr sind auch Vermögenseinbußen, welche die wirtschaftliche Existenz des Eigentümers noch nicht ernsthaft infrage stellen, bei der Anwendung des Kündigungstatbestandes zu beachten (BVerfG, Urteil v. 14.2.1989, 1 BvR 307/99, a. a. O.).
Rz. 80
Die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 setzt einen erheblichen Nachteil beim Vermieter selbst voraus; ein solcher Nachteil bei einer mit der vermietenden Gesellschaft persönlich und wirtschaftlichen verbundenen "Schwestergesellschaft" reicht hingegen nicht aus (BGH, Urteil v. 27.9.2017, VIII ZR 243/16, GE 2017, 1403).
Rz. 81
Es reicht auch nicht jedweder wirtschaftliche Nachteil des Vermieters. Vielmehr muss dieser ein solches Gewicht haben, dass die Einbuße für den Vermieter im hohen Maße unerträglich erscheint (vgl. LG Berlin, Urteil v. 21.1.1988, 62 S 165/87, DWW 1988, 178). Es muss dabei nicht unbedingt der Grad von erheblichen Beeinträchtigungen i. S. v. § 573 Abs. 2 Nr. 3 erreicht sein (BGH, Urteil v. 16.12.2020, VIII ZR 70/19, GE 2021, 246). Erhebliche Nachteile sind auch nicht gleichbedeutend mit Existenzverlust (vgl. zum Begriff des Existenzverlusts BVerfG, Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09, GE 1989, 297). Der Nachteil muss daher im konkreten Einzelfall bestimmt werden. Die überwiegende Rechtsprechung (vgl. LG Berlin, Urteil v. 19.6.2009, 63 S 10/08, GE 2009, 1497; LG Berlin, Urteil v. 29.7.2002, 61 S 451/00, GE 2003, 49; LG Berlin, Urteil v. 24.11.2006, 63 S 48/06, GE 2007, 659; LG Berlin, Urteil v. 31.7.1990, 64 S 136/90, MDR 1990, 1121; LG Aachen, Urteil v. 16.8.1991, 5 S 156/91, WuM 1991, 495; LG Arnsberg, Urteil v. 3.9.1991, 5 S 120/91, WuM 1992, 22) fordert zum Zweck der Bestimmung eines erheblichen Nachteils jedenfalls im gerichtlichen...