Die Prüfung, ob die Räumungsvollstreckung bei einem hochbetagten Mieter wegen schwerwiegender gesundheitlicher Risiken eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte darstellt im Sinne der Räumungsschutzvorschrift § 765a ZPO, ist nicht auf eine akute Lebensgefahr während des Räumungsvorgangs selbst zu beschränken. In die Beurteilung einzubeziehen sind auch schwerwiegende gesundheitliche Risiken, die aus einem Wechsel der gewohnten Umgebung resultieren.
Die Vollstreckungsgerichte müssen in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen treffen, damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgeschlossen werden und dadurch der – sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergebenden – Schutzpflicht staatlicher Organe Genüge getan wird. Dementsprechend sind bei der Prüfung der Voraussetzungen des Vollstreckungsschutzes auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Eine unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen (hier: 98-jährige Mieterin mit 72-jährigem Sohn) dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum einzustellen ist.
Bei einer langen Verfahrensdauer, die beim Gläubiger und seiner Familie (z. B. durch die Doppelbelastung mit Darlehensverbindlichkeiten für den Erwerb des Räumungsobjekts und mit der Miete für den aktuellen Wohnraum) erkennbar auch wirtschaftlich erhebliche Spuren hinterlassen hat, kann es dem Rechtsmittelgericht jedoch geboten sein, statt die Sache zurückzuverweisen selbst die notwendigen Aufklärungsmaßnahmen umfassend einzuleiten, durchzuführen und insgesamt größtmögliche Beschleunigung obwalten zu lassen.
Suizidgefahr in Zwangsräumungsverfahren ist besonders zu prüfen
Eine Suizidgefahr schließt eine Räumungsvollstreckung nicht dauerhaft aus. Die Zwangsräumung ist auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht, nur in besonders gelagerten Einzelfällen für einen längeren Zeitraum und in absoluten Ausnahmefällen auf unbestimmte Zeit einzustellen.
Jedoch müssen in jedem Einzelfall die grundgesetzlich geschützten Parteiinteressen abgewogen werden. Insbesondere muss geklärt werden, ob nicht durch andere Maßnahmen als die Vollstreckungseinstellung, z. B. durch Therapieauflagen, die Suizidgefahr vermindert werden kann. Fehlt es dem Schuldner jedoch krankheitsbedingt an der Einsichtsfähigkeit der Therapienotwendigkeit, muss auch die Unterbringung des Schuldners in Erwägung gezogen werden. Daher kann der Räumungsschuldner mit der Begründung der Suizidgefährdung auch die Einstellung der Zwangsvollstreckung für die Dauer des Verfahrens seiner Nichtzulassungsbeschwerde zur Revision nicht erreichen, wenn die Selbsttötung durch eine stationäre Behandlung ausgeschlossen werden kann.
Zuletzt wurde jedoch entschieden, dass das vehementes Ablehnen einer stationären Therapie des Mieters sich nicht zu dessen Nachteil auswirkt, wenn der befragte Sachverständige an der Mieter-Einsichtsfähigkeit aufgrund seines psychischen Krankheitszustands Zweifel hat. Wenn nämlich die Einsichtfähigkeit in eine notwendige stationäre Therapie fehlt, kann das nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Schlussendlich kommt es bei der Bewertung der Suizidgefahr als Härtegrund immer auf den Einzelfall an.
Will das Gericht der Einschätzung des von ihm beigezogenen Sachverständigen nicht folgen, wonach der vom Räumungsschuldner geltend gemachten räumungsbedingten Gesundheits- oder Lebensgefahr allein durch die Anwesenheit eines Arztes bei der Räumungsvollziehung nicht effektiv begegnet werden kann, muss es dies abwägen und ausführlich begründen. Hinter eine – gegenüber der Sachverständigeneinschätzung im Ergebnis inhaltsleere – Formel darf sich der Richter in dieser Situation nicht zurückziehen.
Rechtliches Gehör im Räumungsprozess bei Gesundheitsgefahr des Mieters
Macht der Räumungsschuldner (hier: Arzt) in der mündlichen Beschwerdeverhandlung über sein Räumungsschutzbegehren geltend, ihm drohe zwar keine Suizidgefahr mehr, aber es bestehe die Gefahr sonstiger räumungsbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen (Herzinfarkt, Kreislaufzusammenbruch, Bluthochdruck und ähnliche Erkrankungen), weshalb er darum bitte, Gelegenheit zu weiterem Vortrag unter Vorlage von Attesten in angemessener Frist zu erhalten, verletzt das Beschwerdegericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es dieses Vorbringen bei seiner Entscheidung mangels hinreichender Substanziierung unberücksichtigt lässt in der Annahme, die Behauptungen des Schuldners seien erkennbar "ins Blaue" hinein erfolgt.
Der Räumungsschuldner ist nicht verpflichtet, das Gericht von der Ernsthaftigkeit der Suizidgefahr zu überzeugen. Es genügt, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen sich die Suizidgefahr ergibt. Die Beibringung von Attesten ist nicht erforderlich.
Besteht die ...