Leitsatz (amtlich)
Wird aufgrund der begrenzten Größe des Versammlungsortes einem Wohnungseigentümer die Teilnahme an der Versammlung verwehrt, ist hierdurch das Teilnahme- und Mitwirkungsrechte des Wohnungseigentümers in gravierender Weise beeinträchtigt, so dass die gefassten Beschlüsse, ohne dass es auf eine Kausalität ankommt, für ungültig zu erklären sind.
Verfahrensgang
AG Rüsselsheim (Aktenzeichen 3 C 755/21) |
Tenor
wird die Berufungsklägerin darauf hingewiesen, dass die Kammer beabsichtigt, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen. Die Berufungsklägerin möge binnen vorgenannter Frist auch mitteilen, ob die Berufung zurückgenommen wird.
Tatbestand
I.
Mit der Klage begehren die Kläger die Anfechtung von Beschlüssen, die auf der Eigentümerversammlung am 2. Juli 2021 beschlossen wurden. Die Eigentümergemeinschaft besteht aus vier Parteien. Die Klägerin zu 1) hatten ihrer Tochter Vollmacht zu der Versammlung erteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts teilte der Verwalter der Tochter mit, diese könne nicht an der Versammlung teilnehmen, da die Teilnehmerzahl angesichts der Raumgröße auf fünf beschränkt seien. Neben dem Verwalter war eine Mitarbeiterin vor Ort und drei Eigentümer. Nach Protest erteilte die Tochter dem Kläger zu 2 Vollmacht und verließ den Raum.
Das Amtsgericht hat die angefochtenen Beschlüsse für ungültig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer ist einstimmig zu der Überzeugung gelangt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert sie zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung der Kammer aufgrund mündlicher Verhandlung.
Zutreffend hat das Amtsgericht die angefochtenen Beschlüsse bereits auf Grund formeller Mängel für ungültig erklärt.
1.
Die Beklagte kann zunächst nicht damit gehört werden, das Amtsgericht habe den Sachverhalt nicht richtig erfasst bzw. im Tatbestand als streitig dargestellte Behauptungen in den Entscheidungsgründen als unstreitig behandelt.
Das Amtsgericht hat im Tatbestand des angegriffenen Urteils ausdrücklich als unstreitig festgestellt, dass der Verwalter der Tochter der Klägerin zu 1) mitgeteilt habe, sie könne nicht an der Eigentümerversammlung teilnehmen, da aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse nur fünf Personen im Raum anwesend sein können. Weiter ergibt sich aus den tatbestandlichen Feststellungen des Amtsgerichts, dass die Tochter der Klägerin zu 1) unstreitig erst nach Protest dem Kläger zu 2) Untervollmacht erteilt und dann nicht an der Eigentümerversammlung teilgenommen hat.
Es kann dahinstehen, ob das Amtsgericht diese Tatsachen fälschlicherweise als unstreitig zugrunde gelegt hat. Aufgrund von § 314 S. 1 ZPO ist die Kammer auch an die Feststellungen des Amtsgerichts gebunden, ob ein Umstand in erster Instanz bestritten wurde oder nicht (vgl. BGH NJW-RR 2008). Ein nunmehr in der Berufung erfolgte Bestreiten stellt sodann rechtlich ein neues Angriffsmittel iSd §§ 529 Abs. 1, Nr.1, 531 ZPO dar (hierzu Dute, NJW 2022, 359). Da hier keine Zulassungsgründe nach § 531 Abs. 2 ZPO ersichtlich sind, kann dieses Angriffsmittel der Beklagten vorliegend im Rahmen des Berufungsverfahrens nicht zugelassen werden.
2.
Ausgehend von dem festgestellten, und für die Kammer bindenden, Sachverhalt hat das Amtsgericht die Rechtslage zutreffend beurteilt. Der angefochtenen Beschlüsse waren schon wegen der Verletzung der Teilnahmerechte der Klägerin zu 1) für ungültig zu erklären.
Im Ausgangspunkt besteht auch in Zeiten der Corona-Pandemie ein Anspruch der Eigentümer auf eine persönliche Teilnahme an Eigentümerversammlungen. Es ist folglich unzulässig, Versammlungen dahingehend zu beschränken, dass lediglich eine Teilnahme einzelner Personen gewährleistet wird und die übrigen Eigentümer Vollmachten zu erteilen haben oder gar von Vornherein lediglich zu sog. Vertreterversammlungen geladen wird, bei denen sich die Eigentümer nur (üblicherweise vom Verwalter) vertreten lassen können. Denn die Eigentümer haben nicht nur das Recht, ihren Willen durch Abstimmungsverhalten zum Ausdruck zu bringen, sondern auch durch Wortmeldungen auf der Versammlung die Mehrheit in Richtung der von ihnen gewünschten Willensbildung zu beeinflussen (Zschieschack in Schmidt, COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl., § 4 Rn. 25; AG Lemgo NZM-info Heft 22/2020, IX = ZWE 2020, 480 mit Anm. Greiner ZWE 2020, 482). Demzufolge sieht der BGH in der Teilnahme an einer Versammlung auch eines der elementaren Kernrechte der Eigentümer (BGH NZM 2020, 653 Rn. 18; Kammer, Urteil v. 17.12.2020, Az. 2-13 S 108/20, NZM 2021, 45 Rn. 8).
Aufgabe des Verwalters ist es, zur Versammlung einzuladen und dabei über den Ort und die Zeit der Versammlung nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Der Versammlungsort und...