Leitsatz (amtlich)
Beschlüsse, die während der Corona-Pandemie auf einer sog. „Ein-Personen-Versammlung” gefasst worden sind, auf welcher die Eigentümer nur die Möglichkeit hatten, sich vom Verwalter vertreten lassen sollten, sind nicht nichtig. Sie können aber anfechtbar sein, ohne dass es auf eine Kausalität des Ladungsmangels ankommt.
Verfahrensgang
AG Langen (Urteil vom 31.05.2022; Aktenzeichen 56 C 156/21 (10)) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten und Widerklägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Langen vom 31.05.2022, Az. 56 C 156/21 (10), wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten und Widerkläger.
3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis 13.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die klagende WEG verlangt mit ihrer Klage von den beklagten zwei Wohnungseigentümern die Zahlung von Hausgeld. Widerklagend begehren diese die Feststellung der Nichtigkeit der auf der Versammlung vom 23.07.2020 zu den TOP 3 bis 6 gefassten Beschlüsse, wobei mit dem Beschluss zu TOP 5 eben jener Wirtschaftsplan (Gesamt- und Einzelwirtschaftspläne 2020) beschlossen wurde, auf welchen die Klägerin ihre Hausgeldforderung stützt.
Wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge sowie der tatsächlichen Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass die Verwalterin der Klägerin im Vorfeld der Einladung zur Versammlung vom 23.07.2020 mit Email an die Wohnungseigentümer vom 24.04.2020 auf das einer Zusammenkunft innewohnende unkalkulierbare Infektionsrisiko mit dem Corona-Virus hinwies, u.a. die Möglichkeit einer „Ein-Mann-Versammlung” mit „abgespeckter” Tagesordnung vorstellte, wobei vom persönlichen Erscheinen dringend abgeraten werde, und schließlich abfragte, ob sich die Eigentümer „für eine Ein-Mann-Versammlung (es kommt niemand) entscheiden” könnten oder abwarten wollten, bis das Infektionsrisiko wieder kalkulierbar sei. … Mit Schreiben vom 03.10.2020 erfolgte die Einladung zu Versammlung am 23.07.2020, 11:15 Uhr, in den Büroräumen der Verwalterin, wobei im Betreff u.a. angegeben war: „1-Mann-Versammlung wegen Corona-Pandemie”, der Einladung lag eine Vollmacht für die Verwalterin bei. …
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Nach Auffassung des Amtsgerichts liege zwar ein Einladungsmangel vor. Dieser führe allerdings nicht zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Anfechtbar seien die Beschlüsse nicht mehr, da die Frist zur Anfechtung längstens abgelaufen sei, nachdem die Widerklage erst mit Schriftsatz vom 13.10.2021 erhoben worden ist. Die mit der Klage geltend gemachte Zahlungsverpflichtung ergebe sich aus dem Beschluss zum Wirtschaftsplan.
Mit der Berufung verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungs- sowie ihren Widerklageantrag weiter. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung hat keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Zahlungspflicht der Beklagten besteht, denn der einzig erhobene Einwand, der u.a. Gegenstand der Widerklage ist, dass der Beschluss über den Wirtschaftsplan nichtig sei, trägt nicht. Da auch die anderen Beschlüsse nicht nichtig sind, war die Widerklage abzuweisen.
Obschon die Wirksamkeit von Beschlüssen aus einer Versammlung vor der Reform infrage steht, findet auf die Widerklage das neue Verfahrensrecht Anwendung, denn sie wurde – wie auch schon die Klage – erst weit nach Inkrafttreten der Reform am 13.10.2021 anhängig gemacht (vgl. § 48 Abs. 5 WEG).
Wie sich aus Widerklage- und Berufungsbegründung ohne Weiteres ergibt, begehren die Beklagten trotz anderslautender Antragstellung nicht die Ungültigerklärung der gefassten Beschlüsse, sondern die Feststellung der Nichtigkeit (§ 44 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 WEG, weshalb der Antrag entsprechend auszulegen ist.
Die so zu verstehende Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Die auf der Versammlung gefassten Beschlüsse sind nicht nichtig.
Ob wegen der Bezeichnung „1-Mann-Versammlung wegen Corona-Pandemie”, verbunden mit der Wahl des Büros der Hausverwaltung als Versammlungsort und der vorangegangenen Mail, die Einladung zur Wohnungseigentümerversammlung vom 23.06.2020 einer Ausladung gleichkommt, wofür einiges spricht, kann dahinstehen, denn dies führt nicht zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls können Beschlüsse wegen Ladungsmängeln zwar im Rahmen einer Anfechtungsklage für ungültig zu erklären sein, in schwerwiegenden Fällen nach der Relevanztheorie sogar unabhängig von der Frage der Kausalität (Kammer, Urt. v. 15.9.2022 – 2-13 S 38/21, ZWE 2022, 454 mAnm Emmerich), hierauf kam es aber nicht an, da eine fristgerechte Anfechtungsklage nicht erhoben wurde.
Beschlüsse wegen eines Ladungsmangels sind aber regelmäßig nicht nichtig; vielmehr sind sie nach zutreffender Auffassung ...