Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsvollstreckung: Räumung und Herausgabe eines Grundstücks mit einem Altenwohn- und Pflegeheim
Orientierungssatz
Die Räumung eines Grundstücks, auf dem ein Altenwohn- und Pflegeheim betrieben wird, erfordert eine ordnungsgemäße, objektbezogene Betriebsabwicklung. Sie ist daher eine unvertretbare Handlung, die gemäß § 888 ZPO zu vollstrecken ist. Erst danach kann die Herausgabevollstreckung erfolgen.
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 16. April 2002 - 72 M 763/02 - wird aufgehoben.
Die vom Gläubiger beantragte Herausgabevollstreckung bezüglich des auf dem Grundstück G. gelegenen H. durch den Gerichtsvollzieher ist unzulässig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Erinnerungsverfahrens trägt die Schuldnerin zu 2.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO n. F.).
Wert für das Beschwerdeverfahren: 1 Millionen Euro.
Gründe
Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil des Landgerichts Göttingen vom 30.11.2001 - 4 O 175/01 -. Darin sind die Schuldner als Beklagte verurteilt worden, das auf dem Grundstück G. gelegene I. an den Kläger herauszugeben. Der vom Gläubiger mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung beauftragte Gerichtsvollzieher hat aufgrund von Bedenken hinsichtlich der zu gewährleistenden Versorgung der Heimbewohner bei Räumung durch die Schuldner als derzeitige Betreiber sowie zur weiteren Verfahrensweise angesichts eines streitigen Vermieterpfandrechtes die Sache gemäß § 60 Abs. 3 Ziff. a GVGA dem Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Eine dagegen gerichtete Eingabe des Verfahrensbevollmächtigten des Gläubigers vom 11. April 2002, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht als Erinnerung gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers ausgelegt. Mit Beschluss vom 16. April 2002 hat das Amtsgericht den Gerichtsvollzieher auf die Erinnerung des Gläubigers angewiesen, die Zwangsvollstreckung wegen des Herausgabeanspruches vorzunehmen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Schuldnerin zu 2. vom 29. April 2002, auf die ebenfalls Bezug genommen wird.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
Tatsächlich ist in dem noch nicht rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Göttingen nicht lediglich ein schlichter Herausgabeanspruch des Gläubigers tituliert worden. Vielmehr verpflichtet der Tenor die beiden Schuldner - zumindest auch - zu einer unvertretbaren Handlung, die gemäß § 888 ZPO zu vollstrecken ist.
1.
Ob ein Titel, der seinem Wortlaut nach lediglich einen Herausgabeanspruch beinhaltet, zugleich mit weitergehenden Handlungspflichten des Schuldners verbunden ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (LG Frankenthal in DGVZ 1985, 184 (orientiert am Vollstreckungszweck); MüKO/Schilken, ZPO, 2. Auflage, § 883 Rdnr. 8 m.w.Nachw.). Im vorliegenden Fall wäre eine bloße Besitzaufgabe mit Zugangsverschaffung seitens der derzeitigen Betreiber angesichts der in den Räumlichkeiten noch verbleibenden Heimbewohner, die mittels Pflegeverträge an die Schuldner gebunden sind und nicht ohne weiteres zum Abschluss neuer Heimverträge mit einer neuen Betreibergesellschaft verpflichtet oder gezwungen werden können, keineswegs ausreichend, um dem Gläubiger eine auch faktisch ungehinderte Verfügungsgewalt oder Nutzungsmöglichkeit zu geben.
Erforderlich wäre vielmehr eine ordnungsgemäße objektbezogene Betriebsabwicklung, die auf verschiedene Weise bewerkstelligt werden kann. Insbesondere kann auf Seiten der Schuldner entweder eine komplette Räumung des Objektes, einschließlich der sich dort aufgrund der Pflegeverträge aufhaltenden Personen, etwa durch Verlagerung der Betriebsstätte, oder aber eine ordnungsgemäße Betriebsübergabe an den Gläubiger oder von ihm beauftragte Dritte erfolgen. In letzterem Fall wären insbesondere die Rechte der Heimbewohner sowie die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften des HeimG zu berücksichtigen. Gegebenenfalls sind auch andere Arten der konkreten Durchführung denkbar. Jedenfalls ist eine bloße Herausgabe ohne weitere, auf eine ordnungsgemäße Abwicklung des Heimbetriebes oder Betriebsübergabe gerichtete Handlungen nicht ausreichend.
Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Frage, ob der Gläubiger bzw. eine nach seinem Vortrag bereitstehende neue Betreibergesellschaft aufgrund eigener Qualifikation und Kapazitäten in der Lage wäre, den Heimbetrieb entsprechend den Anforderungen des HeimG sicherzustellen, nicht an. Entscheidend ist, dass mit einer bloßen Herausgabe noch nicht alle Voraussetzungen dafür geschaffen wären, um den Heimbetrieb anstelle der Schuldner fortzusetzen. Dies gilt sowohl in rechtlicher (z. B. Überleitung der Heimverträge), als auch in faktischer (Fortführung von Buchhaltung, Verpflegung und Verträgen mit Dritten) Hinsicht, so dass auch nicht ohne weiteres von einem Betriebsübergang i. S. v. § 613 a BGB ausgegangen werden kann.
Die Notwendigkeit zum Abschluss von Folgeverträgen haben offe...