Leitsatz (amtlich)
1. Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei formellen Beschlussmängeln
2. Der Kläger muss bei einem Ladungsmangel zur Schlüssigkeit der Klage zumindest vortragen, dass ein Ladungsmangel vorliegt, (jedenfalls) ein anderer Wohnungseigentümer zur Versammlung nicht erschienen ist und keinen Vertreter entsendet hat und einen Vertreter geschickt hätte, wenn er ordnungsgemäß eingeladen worden wäre. Erst dann greift in einem zweiten Schritt die Vermutung, dass die Rechtsverletzung ursächlich für das Beschlussergebnis geworden ist und tragen die Beklagten die Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung der angefochtene Beschluss wäre auch ohne den Einberufungsfehler genauso gefasst worden.
Verfahrensgang
AG München (Urteil vom 08.10.2020; Aktenzeichen 484 C 22248/19 WEG) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten zu 1) wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 08.10.2020, Az. 484 C 22248/19 WEG, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Der Beschluss Nr. 221 (19/08) der Eigentümerversammlung vom 27.11.2019 zu TOP 3 wird hinsichtlich der Genehmigung der Einzelabrechnungen 2018 für ungültig erklärt.
- Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Beklagten 49 % und die Klägerin 51 %.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Parteien bilden die rubrizierte WEG.
Die Klägerin ist Eigentümerin der Wohnung Nr. … sowie des TG-Stellplatzes Nr. … und des Hobbyraums … mit insgesamt 67,1474/10.000 MEA.
Es handelt sich um eine Anlage aus dem Jahr 1966, die mit Teilungserklärung vom 07.02. 2001 (Anl. B 1) aufgeteilt worden ist. In dieser heißt es auszugsweise:
„IX. Wohnungseigentümerversammlung
(…)
7.
(…) Ein Wohnungseigentümer kann sich in der Eigentümerversammlung durch einen anderen Wohnungseigentümer, seinen Ehegatten oder sonstige Dritte vertreten lassen. Der Vertreter – ausgenommen der Ehegatte – bedarf der schriftlichen Vollmacht (…).
Jede Wohnungseigentümerversammlung ist beschlussfähig, unabhängig von der Zahl der anwesenden oder vertretenen Stimmen.
XVII. Getrennte Abrechnungsgemeinschaften
Es sollen getrennte Abrechnungsgemeinschaften gebildet werden und zwar
a) für die Wohnungen, die das Hochhaus … bilden samt den Hobby- und Kellerräumen sowie einschließlich der Wohnungen, die durch eine etwaige Aufstockung entstehen
b) die Wohnungen in den fünf Häusern … bis …, samt Hobby- und Kellerräumen einschließlich der Wohnungen, die durch eine eventuelle Aufstockung entstehen
c) für die Tiefgarage einschließlich der bei einer Erweiterung entstehenden Stellplätze
d) und, sobald errichtet., für die Gebäulichkeiten, die auf dem Teilungsgrundstück weiter errichtet werden.
Die Abrechnung der Kosten und Lasten soll für jede Abrechnungsgemeinschaft getrennt erfolgen, soweit eine getrennte Erfassung möglich ist.
Bei Abstimmungen, die wirtschaftlich ausschließlich Belange einer Abrechnungsgemeinschaft betreffen (z.B. Bewirtschaftungskosten oder allgemeine Ausgaben), sind nur die Mitglieder dieser Abrechnungsgemeinschaft stimmberechtigt, soweit dies gesetzlich zulässig ist.
(…)”
In der (nicht streitgegenständlichen) Eigentümerversammlung vom 12.09.2017 wurde beschlossen, die außenseitige Befahranlage an der Ost-/Süd-/Westseite des Hochhauses … bis zum 31.10.2018 abzubauen.
Mit Schreiben vom 28.10. 2019 (Anl. K 7), dem die Anlage „Vollmacht” (Anl. B 3) beigefügt war, lud die Verwaltung zur streitgegenständlichen Eigentümerversammlung vom 27.11.2019 (Anl. K 2).
In dem Einladungsschreiben heißt es auszugsweise:
„(…) Gemäß Ziffer IX.7 der GO ist jede Eigentümerversammlung, unabhängig von der Anzahl der anwesenden oder vertretenen Stimmen, beschlussfähig.
Im Falle Ihrer Verhinderung empfehlen wir Ihnen, sich vertreten zu lassen. Für die Erteilung der Vollmacht verwenden Sie bitte den beliegenden Vordruck, den Sie entweder unmittelbar an den Vollmachtnehmer aushändigen oder zu unseren Händen senden können (…)”.
Die Vollmacht lautet auszugsweise:
„Hiermit bevollmächtige ich (…), das Mitglied des Verwaltungsbeirats der Eigentümergemeinschaft … in … (…) uns/mich in der Eigentümerversammlung am 27.11.2019 zu vertreten und das Stimmrecht für mich/uns auszuüben (…)”
In der Eigentümerversammlung vom 27.11.2019 wurden u.a. die hier streitgegenständlichen Beschlüsse zu TOP 3 (JA 2018) u. TOP 9 (Abbau der Befahranlage an der Ost-, Süd- und Westseite des Hochhauses … durch die Firma … gem. Angebot vom 27.11.2019) gefasst. Die Befahranlage wurde zwischenzeitlich vollständig abgebaut.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der in 1. Instanz gestellten Anträge wird ...