Verfahrensgang
AG Schwerin (Urteil vom 11.07.2008) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 11.07.2008 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung oder Hinterlegung von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
4. Der Streitwert für die Berufung wird auf 2 666,71 EUR festgesetzt.
5. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter, die Beklagte eine gesetzliche Krankenkasse.
Die Parteien streiten um die Rechtsfrage, ob § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV in der seit 01.01.2008 geltenden Fassung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers die Anfechtung hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile gegenüber den Sozialkassen ausschließt (so die Beklagte) oder nicht (so der Kläger).
Die Beklagte hat vorprozessual die Hälfte eines im Wege der Zwangsvollstreckung von der Insolvenzschuldnerin eingezogenen Betrages als Arbeitgeberanteile an den Kläger ausgezahlt. Die Parteien streiten um den Restbetrag, nämlich die Arbeitnehmeranteile i.H.v. 2 666,71 EUR.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
Der Kläger meint, diese Arbeitnehmeranteile gehörten zum pfändbaren Vermögen der Insolvenzschuldnerin und hätten daher von der Beklagten nicht im Wege der Zwangsvollstreckung eingezogen werden dürfen. Es handele sich um eine anfechtbare inkongruente Rechtshandlung innerhalb eines Monats vor Insolvenzantrag gem. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
Erstinstanzlich hat die Beklagte die Erstattung der Arbeitnehmeranteile mit der Begründung verweigert, § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV stünde der Anfechtung entgegen, weil es sich bei den Arbeitnehmerbeiträgen um Vermögen des Beschäftigten und nicht des Arbeitgebers, also der Insolvenzschuldnerin handele. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass der „Besitzstand” des Arbeitnehmers im Fall der Insolvenz seines Arbeitgebers gewahrt werden solle.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 2 666,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.04.2008 (Rechtshängigkeit) verurteilt.
Der Kläger sei zur Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO berechtigt. Er habe durch Vorlage von Kontoauszügen nachgewiesen, dass die Zahlung an die Beklagte aus dem Guthaben der Schuldnerin vorgenommen wurde. Das Guthaben und der daraus folgende Auszahlungsanspruch der Schuldnerin gehörten noch zum pfändbaren Vermögen. § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV stünde der Anfechtung nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof habe am 27.03.2008 ausdrücklich entschieden, dass § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht lediglich eine Klarstellung, sondern eine Rechtsänderung bewirkt habe. Ob die Neuregelung die nach dem bisherigen Recht entstandenen Anfechtungsrechte beseitigen wollte, habe der Bundesgerichtshof indessen ausdrücklich offengelassen. Der Wortlaut der Regelung stelle auf eine „Zahlung” ab, vorliegend sei der Zahlung jedoch eine selbständig anfechtbare und vom Kläger angefochtene Rechtshandlung der Beklagten, nämlich die Pfändung und Einziehung der Kontoforderung gegen die Bank vorausgegangen. Nach dem Gesetzeswortlaut mache es einen Unterschied, ob die Auskehrung aufgrund einer freiwilligen Leistung des Arbeitgebers oder – wie hier – im Rahmen einer Pfändungs- und Überweisungsverfügung bewirkt werde.
Der aus der Gesetzesbegründung abzuleitende Sinn und Zweck der Norm gebiete keine andere Auslegung in einem für die Beklagte günstigen Sinne. Nach der Gesetzesbegründung solle die gesetzliche Regelung klarstellen, dass der vom Beschäftigten zu tragende und vom Arbeitgeber einbehaltene Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag dem Vermögen des Beschäftigten zugehörig sei. Es gehe ausdrücklich um die „Besitzstandswahrung” des Arbeitnehmers gegenüber dem Sozialversicherungsträger, nicht um Sonderrechte des Sozialversicherungsträgers im Insolvenzverfahren, die bereits seit längerer Zeit abgeschafft worden seien. Diese „Besitzstandswahrung” werde durch die gesetzliche Fiktion („gilt”) erreicht, dass der Beitrag als vom Arbeitnehmer erbracht anzusehen sei. Durch die Anordnung dieser Fiktion wolle der Gesetzgeber offensichtlich verhindern, dass der Sozialversicherungsträger gegenüber Ansprüchen des Arbeitnehmers einwenden könnte, sein Beitragsanteil sei nicht erbracht. Dieser Einwand werde durch § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV abgeschnitten, und zwar ohne jegliche Einschränkung, etwa dergestalt, dass es darauf ankäme, ob der Sozialversicherungsträger die erhaltene Zahlung letztlich behalten dürfe oder ggf. an den Insolvenzverwalter zurückgeben müsse.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt mit dem Ziel der Klagabweisung.
Sie meint, es handele sich um eine nur nach § 130 InsO (kongruente Deckung) anfechtbare Verr...