Entscheidungsstichwort (Thema)

Die unterbliebene Übersetzung einer Anklageschrift verkompliziert die Rechtslage nicht derart, dass allein deshalb ein Pflichtverteidiger zu bestellen wäre

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts T. vom 19. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

In der Anklageschrift vom 21.05.2010 wirft die Staatsanwaltschaft T. dem Angeklagten, der eine Vorverurteilung (Urteil des Amtsgerichts T. vom 23.02.2010) wegen Diebstahls und exhibitionistischer Handlungen zur Ableistung von 70 gemeinnützigen Arbeitsstunden aufweist, vor,

  • -

    in der Nacht vom 28. auf den 29.12.2009 in der Gaststätte "G" in T. gemeinsam mit einem Mittäter einem anderen Gast Wertgegenstände mit einem Gesamtwert von 450 Euro entwendet zu haben;

  • -

    am 01.01.2010 zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr in der Gaststätte "M" in T. einem anderen Gast ein Mobiltelefon Motorola im Wert von 400 Euro entwendet zu haben;

  • -

    im Zeitraum vom 23.11.2009 bis 31.12.2009 im Bereich des Busbahnhofes in T. ein Mobiltelefon Sony-Ericsson im Wert von ca. 50 Euro gefunden und für sich behalten zu haben;

  • -

    am 01.01.2010 in T., in seinem Zimmer 203 in seiner Unterkunft im Besitz von 4,68 Gramm Marihuana (brutto) und von 0,43 Gramm Kokain (brutto) gewesen zu sein.

Die Anklageschrift wurde dem - der deutschen Sprache nicht mächtigen - Angeklagten am 10. Juni 2010 zugestellt. Sie wurde zuvor nicht in eine dem Angeklagten verständliche Sprache übersetzt.

Der Angeklagte hat sich mit Schreiben vom 16. Juni 2010 zur Anklageschrift geäußert. Er hat unter anderem mitgeteilt, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig sei und erst habe jemanden finden müssen, der ihm übersetzt habe, was in der Anklageschrift stehe, und der für ihn den Brief geschrieben habe.

Gleichfalls mit Schreiben vom 16. Juni 2010 hat der Verteidiger, der seit 12. Januar 2010 als Verteidiger tätig ist, seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt und angekündigt, für den Fall der Beiordnung sein Wahlmandat niederzulegen. Das Amtsgericht T. hat mit Beschluss vom 19. Juli 2010 eine Beiordnung abgelehnt. Mit Schreiben vom 21. Juli 2010 hat der Verteidiger Beschwerde eingelegt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1.

Ein Fall des §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 1 StPO ist nicht gegeben. Auch §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 StPO gebietet unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat nicht die Bestellung eines Pflichtverteidigers. Der nur geringfügig vorbestrafte Angeklagte ist lediglich zweier Vergehen des Diebstahls, einem Vergehen der Unterschlagung sowie einem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt. Sämtliche angeklagten Straftaten, auch in ihrer Gesamtheit, sind einfach gelagert und bewegen sich noch im unteren Kriminalitätsbereich. Dies ist auch daran ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage zum Jugendrichter und nicht zum Jugendschöffengericht erhoben hat, weswegen die Verhängung einer Jugendstrafe, die regelmäßig eine Pflichtverteidigerbeiordnung begründet, nicht zu erwarten ist. Ist dagegen, wie vorliegend, davon auszugehen, dass lediglich Zuchtmittel verhängt werden, begründet dies nicht die Schwere der Tat im Sinn von §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 StPO (vgl. zum Ganzen Eisenberg, JGG, 13. Auflage, 2009, § 68 Rn. 24 m.w.N.).

2.

Die Beiordnung eines Verteidigers gemäß §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 StPO kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage in Betracht, weil der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig ist und einem anderen Kulturkreis entstammt.

Einem Angeklagten ist nicht allein deswegen ein Pflichtverteidiger beizuordnen, weil er die deutsche Sprache nicht beherrscht (BGHSt 46, S. 178 ff., 182). Die Beiordnung eines Verteidigers ist nur vorzunehmen, wenn über die Unkenntnis der deutschen Sprache hinaus weitere Umstände hinzutreten, die eine Pflichtverteidigerbeiordnung erforderlich machen.

Dies ist vorliegend, auch wenn dem Angeklagten - der die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht - die Anklageschrift nicht in eine ihm verständliche Sprache übersetzt worden ist, nicht der Fall. Zwar liegt in der Nichtübersetzung der Anklageschrift in eine dem Angeklagten verständliche Sprache ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (BVerfGE 64, S. 135 ff., 145 ff., 147 f.).

Dieser Verstoß führt jedoch nicht dazu, dass dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist. Vielmehr ist der Angeklagte aufgrund des Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens berechtigt, in analoger Anwendung von § 217 Abs. 2 StPO die Aussetzung des Verfahrens zu beantragen, weil er sich nicht hinreichend auf die Hauptverhandlung vorbereiten konnte. Über dieses Recht ist der Angeklagte analog § 217 Abs. 3 StPO zu belehren.

aa)

Durch die Anklageschrift soll der Angeklagte bereits vor der Hauptverhandlung darüber unterrichtet werden, was ihm vorgeworfen wird. Sie soll ihn in die Lage versetzen, seine Verteidigung auf die Anklagevorwürfe einzurichten (BVerfGE, 64, S. 135 ff., 147 f.). D...

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