1 Leitsatz
Bewusst falsche Angaben des Mieters in einem Prozess mit dem Vermieter stellen nicht automatisch einen Kündigungsgrund dar. Je nach Gesamtkontext und vorangegangenem Verhalten des Vermieters kann eine Lüge weniger schwerwiegend sein.
2 Normenkette
BGB §§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB
3 Das Problem
Die Vermieterin einer Wohnung verlangt vom Mieter die Räumung. Die Vermieterin hatte das langjährige Mietverhältnis wegen aus ihrer Sicht vertragswidriger Hundehaltung ordentlich gekündigt und Räumungsklage erhoben.
Bei einer persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht erklärte der Mieter, dass es aus seiner Sicht nicht um den Hund gehe, sondern er aus dem Haus "herausgemobbt" werden solle. Der Hausverwalter habe ihn zudem mit ausländerfeindlichen Äußerungen beleidigt. Ferner gab der Mieter wahrheitswidrig an, zufällig ein Gespräch der Vermieterin gehört zu haben, aus dem sich ergebe, dass das Haus verkauft werden solle. Der Kaufinteressent habe gesagt, er könne das Haus nur kaufen, wenn alle Mieter ausgezogen seien.
Wegen dieser Äußerungen des Mieters erklärte die Vermieterin im Räumungsprozess eine weitere Kündigung.
Nachdem die Räumungsklage vor dem Amtsgericht erfolglos geblieben war, gab das Landgericht der Klage statt. Es ließ offen, ob die Kündigung wegen der Hundehaltung wirksam war. Auf jeden Fall sei die 2. Kündigung wirksam, weil der Mieter wahrheitswidrig von einem angeblichen Gespräch der Vermieterin mit einem potenziellen Käufer berichtet habe.
4 Die Entscheidung
Der BGH hebt das Urteil des Landgerichts auf und verweist den Rechtsstreit zurück. Auch wenn der Mieter in der persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht unzutreffende Angaben gemacht hat, rechtfertigt dies nicht ohne Weiteres eine Kündigung.
Der Vermieter kann einen Mietvertrag über eine Wohnung nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Ein solches Interesse liegt etwa dann vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, so § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Ob der Vermieter angesichts einer schuldhaften Pflichtverletzung des Mieters ein berechtigtes Interesse hat, das Mietverhältnis zu beenden, ist anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Hierbei ist ein vorangegangenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters zu berücksichtigen, insbesondere, wenn es das nachfolgende vertragswidrige Verhalten des Mieters provoziert hat. Es kann daher auch von Bedeutung sein, ob dem Verhalten des Mieters eine unberechtigte Kündigung durch den Vermieter vorausgegangen ist.
Bewusst unrichtiges Vorbringen eines Mieters innerhalb eines Mietrechtsstreits ist eine Pflichtverletzung; diese kann eine Kündigung begründen, wenn sie als erheblich anzusehen ist. Wahrheitswidriges Vorbringen ist jedoch nicht automatisch als erheblich anzusehen. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls und gegebenenfalls auch auf vorangegangenes pflichtwidriges Verhalten des Vermieters an.
Die wahrheitswidrige Aussage des Mieters zum angeblichen Gespräch der Vermieterin mit einem Kaufinteressenten ist daher nicht isoliert zu betrachten, sondern im Gesamtkontext zu sehen.
Der Mieter hat zunächst die subjektive Befürchtung geäußert, er solle "herausgemobbt" werden. Für diese Befürchtung führte er Gründe an, nämlich die aus seiner Sicht ausländerfeindliche Haltung der Hausverwaltung und die seiner Meinung nach bestehende Verkaufsabsicht der Vermieterin. Die unzutreffende Aussage, er habe ein Gespräch der Vermieterin mit einem Kaufinteressenten gehört, mag dazu gedient haben, die Vermutung zu untermauern, er solle "herausgemobbt" werden. Im Gesamtkontext kommt der Aussage aber eher untergeordnete Bedeutung zu.
Zudem könnte die Pflichtverletzung des Mieters in einem milderen Licht erscheinen, wenn er – wie er behauptet – tatsächlich vom Hausverwalter ausländerfeindlich beleidigt worden ist. Dann würde der Gesichtspunkt des angeblich geplanten Hausverkaufs bei der Vermutung, "herausgemobbt" werden zu sollen, noch weiter in den Hintergrund rücken. Der unzutreffenden Aussage wäre dann noch weniger Gewicht beizumessen.
Schließlich könnte dem Fehlverhalten des Mieters auch dann ein geringeres Gewicht beizumessen sein, wenn es der Abwehr einer unberechtigten Kündigung der Vermieterin gedient haben sollte.
Das Landgericht muss nun den Sachverhalt weiter aufklären und dann unter Beachtung der vom BGH genannten Leitlinien erneut entscheiden, ob den wahrheitswidrigen Angaben ein solches Gewicht zukommt, dass eine Kündigung gerechtfertigt ist.
5 Entscheidung
BGH, Urteil v. 25.10.2023, VIII ZR 147/22