56.1 Aktuelle Grenzwerte
Umweltgifte stellen einen Mangel dar, wenn dadurch die Gesundheit des Mieters gefährdet wird. Nach dem Rechtsentscheid des BayObLG vom 4.8.1999 sind die jeweils aktuellen Grenzwerte maßgebend.
Es gelten folgende Grundsätze:
- Die Mietsache gilt als mangelfrei, wenn die dort auftretende Schadstoffbelastung unterhalb des nach wissenschaftlichen Erkenntnissen maßgeblichen Grenzwertes liegt.
- Ist zu entscheiden, ob die Mietsache wegen der Schadstoffbelastung einen ursprünglichen Mangel aufweist, so kommt es auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblichen wissenschaftlichen Erkenntnisse an.
- Werden die Grenzwerte aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse herabgesetzt, so ist der Vermieter zur Anpassung der Mietsache an die nunmehr gültigen Grenzwerte verpflichtet.
- Erfüllt der Vermieter diese Verpflichtung nicht, so ist die Mietsache nach Bekanntwerden der neuen Erkenntnisse als mangelhaft anzusehen.
56.2 Herabsetzung der Grenzwerte
Der Rechtsentscheid des BayObLG ist dann zu beachten, wenn die vom Bundesgesundheitsamt zulässigen Grenzwerte für die Belastung mit Giftstoffen aufgrund neuer Erkenntnisse herabgesetzt werden. In der Praxis hat ein solcher Vorgang folgende Auswirkungen:
- Nach Bekanntwerden der Herabsetzung des Grenzwerts ist eine Überschreitung dieses neuen Werts als Mangel zu bewerten. Der Mieter hat gem. § 535 BGB einen Anspruch auf Mängelbeseitigung. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn die Opfergrenze überschritten wird. Dies ist der Fall, wenn die Herstellung eines vertragsgemäßen Zustands völlig unwirtschaftlich ist.
- Der Mieter kann die Miete erst dann nach § 536 BGB mindern, wenn der Vermieter nach Bekanntwerden der neuen Grenzwerte keine Maßnahmen zur Anpassung der Wohnung an den nunmehr maßgeblichen Standard ergreift. Eine rückwirkende Minderung ist ausgeschlossen.
- Nach § 536a Abs. 1 Alt. 1 BGB hat der Mieter Anspruch auf Schadensersatz, wenn die Mietsache von Anfang an mangelhaft ist und der Mieter deshalb einen Gesundheitsschaden erleidet. Nach Auffassung des BayObLG liegt kein anfänglicher Mangel vor, wenn der Grenzwert erst nach Abschluss des Mietvertrags herabgesetzt wird.
Nach § 536a Abs. 1 Alt. 2 BGB kann der Mieter den Vermieter auch dann auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn ein Mangel nach Abschluss des Mietvertrags auftritt und der Vermieter dies zu vertreten hat. Hiervon ist auszugehen, wenn der Vermieter den neuen Grenzwert kennt und er gleichwohl nichts unternimmt, um einen mangelfreien Zustand herzustellen. Gleiches gilt, wenn der Vermieter untätig bleibt, weil er von dem neuen Grenzwert fahrlässig keine Kenntnis genommen hat.
Das Gericht weist aber ausdrücklich darauf hin, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen der Überschreitung des Grenzwerts und der Gesundheitsgefährdung besonderer Feststellungen bedarf: "Denn nicht jede Schadstoffemission führt zu einem Gesundheitsschaden oder einer manifesten Gesundheitsgefährdung; andererseits schließt die Einhaltung der einschlägigen Grenz- bzw. Vorsorgerichtwerte diese Folge auch nicht aus."
- Nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB kann der Mieter u. a. dann kündigen, wenn die Mietsache im Verlauf der Mietzeit mangelhaft wird und der Vermieter den Mangel trotz Fristsetzung nicht beseitigt. Für die Kündigungsbefugnis ist maßgeblich, ob der im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs maßgebliche Grenzwert überschritten wird.
56.3 Gesundheitsschaden
Es ist nicht erforderlich, dass bereits ein Gesundheitsschaden eingetreten ist; vielmehr genügt es, wenn mit einer solchen Gefährdung ernsthaft zu rechnen ist. Der Mieter muss beweisen, dass eine realistische Gefahr von der Mietsache ausgeht. Einen naturwissenschaftlich unangreifbaren Kausalbeweis zwischen der Belastung mit Giftstoffen und einem konkreten Schaden muss der Mieter nicht führen.
Mögliche Gefahr reicht aus
Steht fest, dass die Räume mit Giftstoffen belastet sind und ist ungeklärt, ob und in welcher Konzentration sich die Schadstoffe in der Raumluft befinden, so liegt ein Mangel vor, wenn eine Gesundheitsschädlichkeit nicht sicher auszuschließen ist.
Es genügt, wenn die Belastung als solche feststeht und aufgrund der Belastungshöhe der Eintritt eines Schadens nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegt.
56.4 Fälle aus der Rechtsprechung