Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung unzulässiger Revision als Berufung. Urteil. Amtsgericht. Auslegung. Anfechtung. Anfechtungswille. Rechtsmittel. Wahlrecht. Berufung. Revision. Sprungrevision. Revisionsgericht. Revisionsbegründung. Revisionsbegründungsfrist. Revisionsantrag
Leitsatz (amtlich)
Bringt der Angeklagte gegen ein wahlweise mit der Berufung oder der Sprungrevision (§ 335 Abs. 1 StPO) anfechtbares amtsgerichtliches Urteil innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO die Revisionsanträge oder deren Begründung überhaupt nicht oder nicht in der der nach § 345 Abs. 2 StPO genügenden Form an, ist das Rechtsmittel auch dann als Berufung zu behandeln, wenn es von dem Angeklagten ausdrücklich als Revision bezeichnet worden ist (u.a. Anschluss an BGH, Beschl. v. 12.12.1951 - 3 StR 691/51 = BGHSt 2, 63, 70 und OLG Hamm, Beschl. v. 18.05.1999 - 4 Ss 284/99 = VRS 97, 181 = StraFo 1999, 382).
Normenkette
StPO §§ 300, 314, 341, 345-346
Tatbestand
Das AG verurteilte den Angekl. am 15.05.2017 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 €. In der Hauptverhandlung vom 15.05.2017 wurde ihm eine Rechtsmittelbelehrung mündlich erteilt und in schriftlicher Form ausgehändigt. Mit bei Gericht am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 18.05.2017 teilte der Angekl. mit, dass das Urteil "massivst angefochten" werde, dass er sich aber bis nach Erhalt des Urteils noch vorbehalte, "welche Form der Einlegung" er wähle. Nach der am 16.05.2017 erfolgten Protokollfertigstellung wurde dem Angekl. das Urteil vom 15.05.2017 am 26.05.2017 förmlich zugestellt. Mit beim AG am 02.06.2017 eingegangenem weiteren Schreiben brachte der Angekl. zum Ausdruck, dass er "Revision" gegen das Urteil vom 15.05.2017 einlege und machte im Wesentlichen geltend, dass das angefochtene Urteil auf einer "Mehrfachverletzung der Gesetze und Rechtsvorschriften" beruhe. Das AG hat das Rechtsmittel des Angekl. als Revision angesehen und im angefochtenen Beschluss vom 20.07.2017, welcher dem Angekl. am 25.07.2017 förmlich zugestellt wurde, als unzulässig verworfen, weil die Revision nicht durch einen Verteidiger oder zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet worden sei. Hiergegen wendet sich der Angekl. mit seinem im Ergebnis begründeten Antrag vom 25.07.2017.
Entscheidungsgründe
I. Der auf Überprüfung des Verwerfungsbeschlusses des AG vom 20.07.2017 gerichtete Antrag des Angekl. vom 25.07.2017 ist gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 II StPO auszulegen. Dieser Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, denn das am 18.05.2017 beim AG eingelegte und mit [...] Schreiben vom 01.06.2017 begründete Rechtsmittel ist - unbeschadet der von dem Angekl. gewählten Bezeichnung als Revision - als Berufung zu behandeln, weshalb das AG das Rechtsmittel nicht nach § 346 I StPO wegen Nichtbeachtung der Formvorschrift des § 345 II StPO hätte verwerfen dürfen.
1. Vorliegend hat der Angekl. das Urteil des AG vom 15.05.2017 innerhalb der Einlegungsfrist des § 314 StPO, § 341 StPO zunächst in unspezifizierter Weise angefochten, indem er zum Ausdruck gebracht hat, sich noch nicht auf ein Rechtsmittel festlegen zu wollen. Kann ein Urteil - wie hier - wahlweise mit Berufung oder Revision angefochten werden, so enthält die Erklärung des Angekl. innerhalb der Rechtsmittelfrist, dass er das Urteil anfechte und sich die Bestimmung des Rechtsmittels vorbehalte, eine statthafte allgemeine Anfechtung des Urteils (BGHSt 2, 63/70). Will der Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel als Revision verstanden wissen, so muss er innerhalb der Frist des § 345 I StPO sowie in der Form des § 341 I StPO gegenüber dem AG, welches das angefochtene Urteil erlassen hat, eine Erklärung abgeben, die eindeutig erkennen lässt, dass er das Rechtsmittel der Revision verfolgt. Wird keine Wahl vorgenommen oder ist die Erklärung nicht form- oder fristgerecht abgegeben, so wird das Rechtsmittel als Berufung durchgeführt. Da der mit der Annahme der Revision einhergehende Verzicht auf die weitergehenden Möglichkeiten der Berufung nur bei einer in dieser Hinsicht eindeutigen Erklärung angenommen werden kann, ist das Rechtsmittel auch bei unklarer Erklärung und insoweit verbleibenden Zweifeln als Berufung zu behandeln. Dabei lässt sich in der bloßen Bezeichnung des Rechtsmittels als Revision durch einen Rechtsunkundigen auch bei zunächst unbestimmter Einlegung nicht ohne Weiteres eine solche Entscheidung sehen (OLG Hamm StraFo 1997, 210 und OLG Hamm NJW 2003, 1469). Dies hat insbesondere zu gelten, wenn eine als Revision und Revisionsbegründung bezeichnete und als Präzisierung der zunächst unbestimmten Anfechtung gedachte Rechtsmittelschrift den Anforderungen an die Revisionsbegründung nicht gerecht wird, aber zugleich eindeutig einen Anfechtungswillen erkennen lässt (SK-Frisch StPO 5. Aufl. vor § 296 Rn. 245 unter Hinweis auf OLG Hamm, Beschl. v. 18.05.1999 - 4 Ss 284/99 = VRS 97, 181 = StraFo 1999, 382). Ob nach Maßgabe dieser Grunds...