Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachlich-rechtliche Anforderungen an freisprechendes Bußgeldurteil. Urteil. Freispruch. Rechtsbeschwerde. Staatsanwaltschaft. Urteilsgründe. Feststellungen. Geschwindigkeitsüberschreitung. Fahrereigenschaft. Kraftrad. anthropologisch. Sachverständigengutachten
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Freispruch gelten für die Urteilsgründe des Bußgeldurteils keine geringeren Darstellungsanforderungen als im Falle einer Verurteilung.
2. Spricht der Tatrichter den Betroffenen vom Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung frei, stellt es einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, wenn das Urteil nicht darlegt, welche Feststellungen getroffen werden konnten, sondern sich auf die bloße Mitteilung beschränkt, dass aufgrund eines erholten anthropologischen Sachverständigengutachtens die Täterschaft des Betroffenen nicht mit dem für eine Verurteilung erforderlichen Maß an Sicherheit bewiesen werden konnte.
Normenkette
StPO § 244 Abs. 2, §§ 261, 267 Abs. 5 S. 1; OWiG § 71 Abs. 1; StVO § 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c; OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; StVO § 49 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Das AG hat den Betr. vom Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften (§§ 3 III Nr. 2c; 49 I Nr. 3 StVO) in zwei Fällen, begangen als Führer eines Kraftrads am 08.05.2016 um 19.24 Uhr und - in die Gegenrichtung fahrend - um 19.25 Uhr, mit Urteil vom 16.05.2017 freigesprochen, weil es sich nach Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens nicht davon überzeugen konnte, dass der Betr. das Kraftrad geführt hat. Gegen diese Entscheidung wendet sich die StA mit der Rechtsbeschwerde, die sie mit der Sachrüge begründet. Ihr Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Die statthafte (§ 79 I 1 Nr. 3 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der StA hat - zumindest vorläufigen - Erfolg.
1. Die angefochtene Entscheidung unterliegt schon deswegen der Aufhebung, weil die Darstellung der Gründe nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil (§ 267 V 1 StPO i.V.m. § 71 I OWiG) genügt.
a) Kann sich ein Gericht nicht von der Täterschaft eines Betr. überzeugen, ist zunächst der ihm zur Last gelegte Vorwurf aufzuzeigen. Sodann muss in einer geschlossenen Darstellung dargelegt werden, welchen Sachverhalt das Gericht als festgestellt erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist zu erörtern, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Dies hat so vollständig und genau zu geschehen, dass das Rechtsbeschwerdegericht in der Lage ist nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 24.05.2017 - 2 StR 219/16; 16.06.2016 - 1 StR 50/16 [jeweils bei [...]]; 18.05.2016 - 2 StR 7/16 = wistra 2016, 401 u. 05.02.2013 - 1 StR 405/12 = NJW 2013, 1106 = NStZ 2013, 334; OLG Bamberg, Beschl. v. 13.02.2017 - 3 Ss OWi 68/17 = BA 54 [2017], 208; Urt. v. 12.11.2014 - 3 OLG 8 Ss 136/14 = OLGSt StPO § 267 Nr 27, jeweils m.w.N.). Lassen sich ausnahmsweise überhaupt keine Feststellungen treffen, was im vorliegenden Verfahren aber gänzlich unwahrscheinlich erscheint, zumal immerhin Geschwindigkeitsmessungen mit Lichtbildanfertigungen durchgeführt wurden, so ist auch dies in den Urteilsgründen unter Angabe der relevanten Beweismittel darzulegen (vgl. BGH, Urt. v. 10.07.1980 - 4 StR 303/80 = NJW 1980, 2423 = MDR 1980, 949).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn es wird nicht mitgeteilt, welche Feststellungen getroffen werden konnten. Vielmehr beschränkt sich das Tatgericht auf die Wiedergabe des anthropologischen Sachverständigengutachtens ohne jede weitere Beweiswürdigung und vor allem ohne Mitteilung sonstiger Tatumstände. In diesem Zusammenhang wären insbesondere Feststellungen dazu erforderlich gewesen, ob und mit welchem Fahrzeug ein Geschwindigkeitsverstoß verwirklicht wurde und ob der Betr. ggf. Eigentümer, Besitzer oder Halter des Fahrzeugs war. Denn gerade diesen Gesichtspunkten käme im Rahmen der gebotenen, vom AG allerdings unterlassenen Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls erheblicher Indizwert zu. Aufgrund dieses Darstellungsmangels kann der Senat schon im Ansatz nicht prüfen, ob nicht weitere Indizien vorhanden sind, die bei der erforderlichen Gesamtschau mit dem Sachverständigengutachten, das immerhin konstatiert hat, dass trotz des vom Fahrer getragenen Integralhelms 10 bzw. 11 von 28 Merkmalskomplexen abgeglichen werden konnten mit dem Resultat des vierthöchsten positiven Wahrscheinlichkeitsprädikats, ein anderes Ergebnis gerechtfertigt hätten.
2. Unabhängig hiervon ist aber auch die Beweiswürdigung als solche rechtsfehlerhaft.
a) Die bloße Mitteilung, der Sachverständige habe 10 bzw. 11 von 28 Merkmalskomplexen abgleichen können, genügt bereits nicht den Anforderungen an eine ausreichende Darstellung. Um dem Senat die Überprüfung der Schlüssigkeit eines anthropolog...