Verfahrensgang
LG Braunschweig (Aktenzeichen 6 O 4095/19) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 23.6.2020 - 6 O 4095/19 - abgeändert:
Der Antrag der Klägerin vom 29.5.2020, den Richter am Landgericht X. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird für begründet erklärt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten persönlich Schadensersatz. Ihr habe der Beklagte als Geschäftsführer der S. GmbH nach deren Kündigung 2018/2019 durch Verhandlungen vorgetäuscht, die Geschäftsbeziehung fortzusetzen und zu erweitern sowie Zahlungszusagen einzuhalten. Deshalb habe die Klägerin irrtumsbedingt unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel eine Logistikhalle, eine Hochleistungssequenzierungsanlage für V.-Fahrzeugsitze sowie Personal weiter betriebsbereit vorgehalten und die Einbindung weiterer Lieferanten vorbereitet. Hierdurch sei ihr ein Schaden in Höhe von insgesamt 1.653.643,99 EUR entstanden.
Der Beklagte hält die Klage für unschlüssig.
Der zuständige Einzelrichter der 6. Zivilkammer hat mit Verfügung vom 3.1.2020 Verhandlungstermin auf den 9.3.2020, 13.00 Uhr, anberaumt.
Am 9.3.2020 meldete sich das Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin telefonisch bei der Geschäftsstelle der 6. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig und teilte der Justizhauptsekretärin J. mit, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erkrankt sei, den Termin um 13:00 Uhr nicht wahrnehmen könne, sowie, dass ein Attest umgehend nachgereicht werde (vgl. Vermerk der Geschäftsstelle vom 9.3.2020). Am selben Tag ging bei der Telefaxannahmestelle des Landgerichts Braunschweig um 12:10 Uhr das im Auftrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin verfasste Schreiben dessen Kanzleimitarbeiterin E. vom 9.3.2020 ein. Diese bat darin um die Terminsverlegung wegen Erkrankung des Prozessbevollmächtigten unter Bezugnahme auf ein beigefügtes, ebenfalls per Fax um 12:10 Uhr beim Landgericht Braunschweig eingegangenes Attest des Dr. med. G.. In dem Attest ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine akute internistische Erkrankung mit einer Arbeits- und Verhandlungsunfähigkeit vom 9. März bis 20.3.2020 bescheinigt worden.
In dem Verhandlungstermin am 9.3.2020 war auch bis 13:15 Uhr für die Klägerin niemand erschienen. Herr Richter am Landgericht X. erließ sodann antragsgemäß klageabweisendes Versäumnisurteil, das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17.3.2020 zugestellt wurde. Dagegen legte die Klägerin am 31.3.2020 Einspruch ein. In ihrer Einspruchsbegründungsschrift vom 29.5.2020 hat sie den Richter am Landgericht X. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Hierzu hat der abgelehnte Richter unter den 2.6.2020 folgenden Erklärung abgegeben:
"Dienstliche Erklärung:
Zum Befangenheitsgesuche im Schriftsatz der Klägerin vom 29.5.2020 kann ich aufgrund des Zeitablaufs seit dem Termin, der mit der Verkündung des Versäumnisurteils geändert hat, aus dem Gedächtnis nur noch teilweise Angaben machen. Mir ist schlechthin nicht mehr erinnerlich, ob mir der Vermerk Bl. 221 im Termin unbekannt war oder ob ich die Meldung als unzulängliche Entschuldigung betrachtet habe. Auf jeden Fall war mir das Telefax Bl. 224 nebst Attest Bl. 225 unbekannt."
Die 6. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig hat sodann in voller Besetzung ohne den abgelehnten Richter mit dem angefochtenen Beschluss vom 23.6.2020 (Bl. 257 bis 259R d.A.) das Befangenheitsgesuch zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 6.7.2020 zugestellt worden (Bl. 260 d.A.). Dagegen hat er mit dem am 20.7.2020 beim Landgericht eingegangenen (Bl. 261 d.A.) Schriftsatz vom selben Tage (Bl. 262 ff. d.A.) sofortige Beschwerde eingelegt. Dieser hat das Landgericht mit Beschluss vom 28.7.2020 (Bl. 273-274 d.A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Braunschweig zur Entscheidung vorgelegt.
Das Oberlandesgericht hat die dienstliche Stellungnahme der Justizhauptsekretärin J. des Landgerichts Braunschweig vom 18.6.2020 eingeholt (Bl. 277ff., 280 d.A.), die sich vorher noch nicht bei den Verfahrensakten befunden hatte. Sie lautet:
"Zum Vorbringen des Herrn Rechtsanwalts Dr. M. vom 25.05.2020 gebe ich folgende dienstliche Stellungnahme ab:
Am 09.03.2020 hat mich am frühen Morgen (die Uhrzeit habe ich mir nicht notiert) eine Dame der Kanzlei des Klägervertreters angerufen und mitgeteilt, dass Herr Rechtsanwalt M. erkrankt ist und den Termin um 13 Uhr nicht wahrnehmen kann; ein Attest wird umgehend nachgereicht. Darüber habe ich einen Telefonvermerk aufgenommen (siehe auch Bl. 221 d. A.; in Kopie beigefügt) und habe diesen Telefonvermerk dem zuständigen Richter, Herrn X., in seinem Dienstzimmer direkt auf den Schreibtisch auf die Tastatur gelegt, weil dieser zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Dienst war.
Herr X. hat mich dann um die Mittagszeit, entweder vor dem Termin oder als er ihn bereits das erste Mal aufgerufen hatte (das kann ich nicht sagen), nochmals in der Geschäftsstelle aufgesucht und g...