Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz für einen vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Pkw

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Vermögensschaden, der auf dem "ungewollten" Abschluss eines Kaufvertrags über ein Fahrzeug beruht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316), entfällt nicht dadurch, dass der Anspruchsteller in Kenntnis des den Vermögensschaden begründenden Verhaltens der Anspruchsgegnerin ein ihm im Rahmen der Finanzierung des Kaufpreises von einem Dritten gewährtes verbrieftes Rückgaberecht nicht ausübt.

 

Normenkette

BGB § 826

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Aktenzeichen 3 O 5983/20)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 22.11.2021 - 3 O 5983/20 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von insgesamt 14.421,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 12.10.2021 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 15.731,19 EUR ab dem 10.02.2021 bis zum 11.10.2021 einschließlich zu zahlen Zug- um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges V. C. mit der Fahrzeug-Identnummer ... Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Berufung der Beklagten wird im Übrigen zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu 19% und die Beklagte zu 81%. Die Kosten der ersten Instanz trägt die Klägerin zu 28% und die Beklagte zu 72%.

Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 22.11.2021 - 3 O 5983/20 - sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Berufungsrechtszuges wird auf die Streitwertstufe bis 19.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin als Erwerberin eines Fahrzeuges nimmt die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugmotors auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB wegen sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit der Verwendung einer Software, die in unzulässiger Weise die Stickoxidgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhält, sowie wegen der Verwendung eines Thermofensters in Anspruch. Konkret begehrt die Klägerin die Rückzahlung des Kaufpreises sowie Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges unter Anrechnung von Nutzungsentschädigung, die Feststellung des Annahmeverzuges und die Freistellung von vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Am 11.11.2011 erwarb die Klägerin einen Neuwagen V. C., 2.0 l TDI mit Motortyp EA 189 von einem Vertragshändler zum Kaufpreis von 25.628,01 EUR brutto. Die Auslieferung erfolgte am 28.11.2021. Ihr entstanden Finanzierungskosten für ein Darlehen in Höhe von 2.726,39 EUR. Am 11.10.2021 betrug der Kilometerstand des Fahrzeuges 96.543 km, am 14.11.2022 109.315 km.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

II. 1. Dass die Beklagte der Klägerin wegen Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware dem Grunde nach aus § 826 BGB haftet und der Klägerin grundsätzlich zur Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verpflichtet ist, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei bejaht. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen des Landgerichts im angegriffenen Urteil (Seite 6 - 10, Blatt 254 - 258) verwiesen.

a) Der Berufungsangriff auf Verneinung eines kausalen Schadens dringt nicht durch:

Im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt das Berufungsgericht zutreffend darauf ab, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Klägerin den Kaufvertrag in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung und wegen des daraus resultierenden Stilllegungsrisikos nicht abgeschlossen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 397/19, Rn. 16, juris; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - BGHZ 225, 316, Rn. 19, 49 ff., juris). Der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung; insoweit bewirkt § 826 BGB einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - BGHZ 225, 316, Rn. 47 f., juris). Für die Qualifizierung des "ungewollten" Vertragsschlusses als Schaden im Sinne des § 826 BGB ist es ausreichend, dass das Fahrzeug im Erwerbszeitpunkt für die Zwecke der Klägerin nicht voll brauchbar war, da die unzulässige Abschalteinrichtung den Fahrzeugbetrieb gefährdete (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - BGHZ 225, 316, Rn. 53 ff., juris).

Dass die Klägerin das Darlehen vollständig ablöste, anstatt das Fahrzeug zu den beim Erwerb festgelegten Konditionen an die Verkäuferin zurückzugeben, macht die Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts nicht ungeschehen. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat die Klägerin als Käuferin nicht nur die Möglichkeit erworben, das Fahrzeug über einen konkreten Zeitraum zu nutzen. Anders als eine Leasingnehmerin hat die hiesige Klägerin das Fahrzeug gekauft und lediglich eine Option zur Rüc...

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