Leitsatz (amtlich)
1. Bezugspunkt für die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist der gesamte Zeitraum von der Einleitung des Verfahrens in erster Instanz bis zur Zustellung der endgültigen rechtskräftigen Entscheidung
2. Für die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, das heißt, es ist eine Gesamtabwägung aller verfahrens- und sachbezogenen Faktoren sowie der subjektiven, personenbezogenen Umstände vorzunehmen.
3. Allgemeingültige Zeitvorgaben, wie lange ein Verfahren zu dauern hat, sind wegen der Verschiedenartigkeit der Verfahren nicht möglich. Rechtspflegestatistiken können lediglich einen Vergleichsrahmen bieten.
4. Ein Verfahren wird regelmäßig dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führen, wenn sachlich nicht begründete Lücken in der Verfahrensförderung auftreten.
Nachgehend
Tenor
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 1.500 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.3.2012 sowie außergerichtliche Anwaltsgebühren i.H.v. 186,24 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 9/10, das beklagte Land zu 1/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung durch das beklagte Land durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von dem beklagten Land eine Entschädigung wegen der überlangen Dauer des vor dem AG Clausthal-Zellerfeld (1 F 212/07 UG) und dem OLG Braunschweig (2 UF 60/10) geführten Umgangsrechtsverfahrens, das den Ausschluss seines Besuchsrechts mit seinem nichtehelichen Sohn C. S., geboren am 1994, zum Inhalt hatte, sowie die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer.
Zwischen den Kindeseltern - dem Kläger und der Kindesmutter K. S. - herrschte bereits vor dem hier streitbefangenen Umgangsverfahren ein jahrelanger Streit über die Besuchskontakte des Klägers mit seinem Sohn, die zu mehrfachen gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt hatten, u.a.: AG Clausthal-Zellerfeld: 1 F 89/99/OLG Braunschweig: 2 UF 233/00, AG Clausthal-Zellerfeld: 1 FH 16/05 EAUG; AG Clausthal-Zellerfeld: 1 FH 16/06 EAUG/OLG Braunschweig: 2 UF 121/07.
In dem zuletzt genannten Verfahren wurde der durch gerichtlichen Vergleich vom 27.6.2006 (AG Clausthal-Zellerfeld: 1 FH 16/05 EAUG) geregelte und durch die Kindesmutter zwischenzeitlich abgelehnte Tagesumgang an jedem zweiten Wochenende durch Beschluss vom 17.7.2007 im Wesentlichen aufrechterhalten und diese Entscheidung durch Beschluss des OLG Braunschweig vom 10.9.2007 (2 UF 121/07) bestätigt.
In dem weiteren, zeitlich unmittelbar nachfolgenden, auf Anregung des Jugendamtes vom 14.9.2007 von Amts wegen eingeleiteten Verfahren vor dem AG Clausthal-Zellerfeld (Geschäftszeichen: 1 F 212/07), das wiederum den Ausschluss des Umgangs betraf und Gegenstand des vorliegenden Entschädigungsprozesses ist, entzog das Familiengericht durch einstweilige Anordnung vom 14.9.2007 dem Kläger vorläufig das Umgangsrecht für C.; Grund hierfür waren das amtsärztliche Gutachten des Landkreises G. vom 13.9.2007 (Bl. 2f Beiakten/AG Clausthal-Zellerfeld: 1 F 212/07 - im Folgenden "Beiakten") und der Bericht des Gymnasiums B. vom 11.9.2007 (Bl. 11f Beiakten), wonach der Junge wegen der damaligen Spannungssituation zwischen den Kindeseltern und der belasteten Umgangskontakte Verhaltensweisen mit Krankheitswert gezeigt und Suizidabsichten erklärt hatte.
Nach gerichtlicher Anhörung der Kindeseltern und des Amtsarztes Dr. H. am 31.10.2007 (Bl. 23 Beiakten) erklärte sich der Kläger mit einer Aussetzung des persönlichen Umgangs einverstanden und wurde durch Beschluss des AG vom selben Tage (Bl. 25 Beiakten) der "persönliche Verkehr" des Klägers mit seinem Sohn "vorerst bis längstens 31.3.2008 ausgesetzt". Hintergrund war, dass die Begutachtung des Kindes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie H. abgewartet werden sollte, für die die Kindesmutter bereits einen Explorationstermin am 22.1.2008 vereinbart hatte. Dementsprechend verfügte der Abteilungsrichter unter dem 31.10.2007, dass das Jugend- bzw. Gesundheitsamt des Landkreises G. dem Gericht unverzüglich eine Kopie der zu erwartenden fachärztlichen Begutachtung zuzuleiten habe, sobald diese vorliege (Bl. 29 Beiakten).
Nach Erinnerung des Klägers mit Schreiben vom 10.4.2008 (Bl. 31 Beiakten) und weiterer Korrespondenz des AG mit dem Jugend- und Gesundheitsamt, die durch Verfügung vom 17.4.2008 eingeleitet worden war, reichte der Landkreis G. mit Begleitschreiben vom 16.5.2008 den Bericht der N. Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie H. vom 23.1.2008 über die ambulante Untersuchung des Kindes vom Vortage ein (Bl. 34f Beiakten), wonach die Beibehaltun...