Verfahrensgang
LG Braunschweig (Aktenzeichen 11 O 6317/20 (1499)) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 11.11.2022 - Aktenzeichen 11 O 6317/20 (1499) - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens erster Instanz zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 45 % und die Beklagte 55 % zu tragen.
Dieses Urteil ist hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf die Wertstufe bis 13.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufungen der Parteien sind zulässig. Die Berufung der Beklagten ist im vollen Umfang begründet, da die Verjährungseinrede durchgreift. Die Berufung der Beklagten ist hingegen unbegründet.
1. Die Berufung der Beklagten ist begründet.
a) Das Landgericht hat zwar zu Recht festgestellt, dass dem Kläger ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB zusteht. Jedoch ist die Beklagte gemäß § 214 Abs. 1 BGB berechtigt, die Leistung zu verweigern, da Verjährung eingetreten ist.
aa) Die in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede ist ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel, das in zweiter Instanz nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist, da sowohl die Erhebung der Verjährungseinrede als auch die Voraussetzungen der Verjährung unstreitig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2008 - GSZ 1/08 -, BGHZ 177, 212-217, Rn. 9ff.). Im vorliegenden Fall ist insbesondere unstreitig, dass der Kläger das Halteranschreiben im Februar 2016 erhalten hat und damit Kenntnis vom Abgasskandal und der Betroffenheit seines Fahrzeuges hatte. Damit hat die dreijährige Verjährungsfrist jedenfalls Ende 2016 begonnen und endete Ende 2019. Sie war damit bei Klageerhebung im Dezember 2020 abgelaufen.
bb) Die Verjährungsfrist wurde auch nicht durch die Anmeldung zum Musterfeststellungsklageverfahren gehemmt. Denn der Kläger hat seine Ansprüche nicht wirksam zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet. Grundsätzlich muss der Anspruch für eine wirksame Anmeldung zur Musterfeststellungsklage (und deren verjährungshemmende Wirkung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB) den Anforderungen des § 253 ZPO entsprechend individualisiert sein. Dies folgt eindeutig aus den Gesetzesmaterialien, die diese Anforderung ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf nennen (vgl. Bundestagsdrucksache 19/2507, S. 24), wobei im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens Anregungen des Bundesrates zu einer Reduzierung der Anforderungen an die Anmeldung der Forderung nach § 608 Abs. 2 ZPO (vgl. Bundestagsdrucksache 19/2701, S. 6 [Ziffer 9., 10.]) nur bzgl. der Bezifferung der Forderung, nicht dagegen bzgl. der Individualisierung entsprechend § 253 ZPO nachgekommen wurde (vgl. die Stellungnahme der Bundesregierung dazu; Bundestagsdrucksache 19/2701, S. 9, sowie die finale Fassung des § 608 Abs. 2 ZPO ohne Verlangen nach einer Bezifferung der Forderung).
§ 253 ZPO verlangt (ebenso wie der ebenfalls eine entsprechende Individualisierung des Anspruchs verlangende § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) für eine hinreichende Individualisierung des Anspruchs eine Kennzeichnung, die den Anspruch von anderen Ansprüchen so unterscheidbar und abgrenzbar macht, dass der Titel Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann bzw. der Anspruchsgegner erkennen kann, um welchen Anspruch es geht, und er überprüfen kann, ob er sich gegen diesen zur Wehr setzen will. Abzustellen ist dabei nur auf die Erkennbarkeit für den Anspruchsgegner selbst, nicht für unbeteiligte Dritte (BGH, Urteil vom 17. November 2010 - VIII ZR 211/09 -, Rn. 9, 11; MüKoZPO/Schüler, 6. Aufl. 2020, ZPO § 690 Rn. 10; BeckOK ZPO/Dörndorfer, 46. Ed. 1.9.2022, ZPO § 690 Rn. 5). Was im Einzelnen zur Erfüllung dieser Voraussetzungen als Angaben zu fordern sind, hängt vom Einzelfall ab (BGH, Urteil vom 17. November 2010 - VIII ZR 211/09 -, Rn. 9; MüKoZPO/Schüler, 6. Aufl. 2020, ZPO § 690 Rn. 10), insbesondere davon, ob zwischen den Parteien über den in Rede stehenden Anspruch hinaus Rechtsbeziehungen bestehen, von denen der Anspruch abgegrenzt werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2010 - VIII ZR 211/09 -, Rn. 13; BGH, Urteil vom 23. Januar 2008 - VIII ZR 46/07 -, Rn. 15, juris; BGH, Urteil vom 30. November 1999 - VI ZR 207/98 -, Rn. 12, juris).
Gemessen daran genügen die Angaben des Klägers in der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage, wie sie sich aus seinem Schriftsatz vom 14.3.2022, S. 16 oben (Bl. 688 d. A.), ergeben, nicht den Anforderungen des § 608 Abs. 2 ZPO. Zwar enthielt die Anmeldung mehr als die Angabe, ein (nicht spezifiziertes) Dieselfahrzeug der Euro-5-Norm erworben zu haben (vgl. zu dieser nicht § 608 Abs. 2 ZPO genügenden Fallkonstellation OLG Köln, Urteil vom 30. März 2022 - I-11 U 86/21 -, ...