Entscheidungsstichwort (Thema)
Entwendung der verwahrten Sache (hier: "Oldtimer"-Traktor) nach Kauf - Schätzung des Schadens
Leitsatz (amtlich)
1. Zwischen den Kaufvertragsparteien kommt ein Verwahrungsvertrag und regelmäßig kein bloßes Gefälligkeitsverhältnis zustande, wenn Verkäufer und Käufer vereinbaren, dass der verkaufte, bereits übereignete und bezahlte historische Traktor (Ackerschlepper "Lanz Bulldog") noch beim Verkäufer bis zur späteren Abholung durch den Käufer verbleibt.
2. Der Verwahrer ist dem Hinterleger auch nach dem Maßstab der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten wegen grob fahrlässiger Verletzung seiner Verwahrerpflichten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er ohne Rücksprache als Verwahrungsobjekt einen ohne Fahrzeugschlüssel fahrbaren Traktor von Sammlerwert auf einem unbewachten und unbefriedeten Sportflugplatzgelände über mehrere Tage und Nächte ohne jede Wegnahmesicherung abstellt und dieser dort entwendet wird.
3. Das Gericht ist an einer Schadensschätzung gem. § 287 ZPO nicht gehindert, wenn zwei gerichtliche Sachverständige bei im Wesentlichen übereinstimmenden gutachterlichen Ausführungen sich lediglich in den Ergebnisspannen eines zu ermittelnden Wertes (hier: eines Sammlerfahrzeugs) ohne Schnittmenge unterscheiden und die Voraussetzungen für ein weiteres Gutachten (§ 412 ZPO) jeweils nicht vorliegen; stehen insbesondere genauere Erkenntnisquellen ersichtlich nicht zur Verfügung, ist es sachgerecht, sodann im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO jeweils den untersten und obersten Ansatz ihrer Wertspannen als Extremwerte zu vernachlässigen und aus der sich ergebenden neuen Gesamtspanne den Mittelwert als richterlichen Schätzbetrag festzusetzen (hier: 72.500,00 EUR).
4. Das Risiko, dass dieses Ergebnis der gerichtlich geschätzten Schadenshöhe unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt, ist in Kauf zu nehmen (im Anschluss an: BGH, Urteil vom 21. Januar 2016 - I ZR 90/14, Rn. 26, juris) und erlaubt kein Absehen von einer Schätzung unter Abweisung der gesamten Klage.
5. Bewertungen von Sammlerfahrzeugtypen ("Oldtimern"; hier: "Oldtimer"-Traktor-Typen) durch private und kommerzielle Markbeobachtungsunternehmen sind nicht vor Ausführungen eines gerichtlichen Sachverständigen der Vorzug zu geben, sofern nicht diese Unternehmen nachvollziehbar und für den Einzelfall erheblich auf andere, insbesondere überlegene Erkenntnisquellen zurückgreifen.
Normenkette
BGB §§ 280, 688, 690, 695 S. 1; ZPO §§ 287, 412
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Aktenzeichen 4 O 1232/15) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 20.12.2019 - 4 O 1232/15 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 21.5.2015 zu zahlen sowie den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 EUR freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger 88,6 % und der Beklagte 11,4 %.
Dieses Urteil und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Braunschweig, soweit dieses aufrechterhalten worden ist, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert des Berufungsrechtszuges wird auf 87.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadensersatz wegen einer nach Kauf und Aufbewahrung eines landwirtschaftlichen Oldtimer-Ackerschlepper "Lanz Eilbulldog", Baujahr 1935, FIN 127146, unterbliebenen Herausgabe des Fahrzeugs.
Der Kläger als Käufer und der Beklagte als Verkäufer schlossen am 18.10.2012 den Kaufvertrag über den vorgenannten Ackerschleppers. Der Kläger zahlte am selben oder am Folgetag in voller Höhe den vereinbarten Kaufpreis von 35.000,00 EUR in bar und erhielt vom Beklagten die Kfz-Kennzeichen des noch zugelassenen Ackerschleppers, sämtliche Papiere sowie den Schlüssel übergeben. Die Parteien vereinbarten gleichzeitig, dass der Ackerschlepper noch bei dem Beklagten verblieb und der Kläger diesen nach Ummeldung beim Beklagten abholen bzw. abholen lassen werde. Der Kläger meldete das Fahrzeug auf sich um und schloss bei der A. Versicherung AG u. a. eine Kaskoversicherung unter Angabe eines Marktwerts von 62.500,00 EUR ab. Zur Abholung des Fahrzeugs beim Beklagten kam es jedoch nicht mehr. Nach dem Vortrag des Beklagten hat dieser den Ackerschlepper kurz nach Abschluss des Kaufvertrages auf sein Ultraleichtflugzeughangar-Gelände in J. für mehrere Tage Freien abgestellt. Am 28.10.2012 habe er festgestellt, dass der Ackerschlepper von Unbekannten dort entwendet worden sei.
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