Entscheidungsstichwort (Thema)

Entstehung einer sozial-familiären Beziehung nach Erhebung der Vaterschaftsanfechtungsklage

 

Leitsatz (amtlich)

Eine unmittelbar nach der Geburt eines Kindes erhobene Vaterschaftsfeststellungsklage hindert nicht die Entstehung einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind. Eine sozial-familiäre Beziehung kann auch nach einem kürzeren Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft anzunehmen sein, wenn der rechtliche Vater die Verantwortung für das Kind übernommen hat und zu erwarten ist, dass er sie in Zukunft wahrnehmen wird. Ein Indiz dafür, dass er die Verantwortung dauerhaft übernehmen wird, liegt vor, wenn schon vor der Geburt eine Partnerschaft zu der Kindesmutter bestand.

 

Normenkette

BGB § 1600 Abs. 2, 4

 

Verfahrensgang

AG Bremen (Aktenzeichen 71b F 375/08)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen, weil die Berufung auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens keine Aussicht auf Erfolg haben kann.

Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Das Bestehen einer - dem Anfechtungsrecht entgegenstehenden - sozial-familiären Beziehung zwischen dem Beklagten zu 1. und 2. hat das AG zutreffend bejaht.

1. Eine sozial-familiäre Beziehung i.S.v. § 1600 Abs. 2 BGB ist anzunehmen, wenn der rechtliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt. Nach § 1600 Abs. 4 BGB besteht dafür eine widerlegliche Vermutung, wenn der rechtliche Vater mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Denn ein längeres Zusammenleben mit dem Kind ist ein Indiz für das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung. Welche Zeitdauer verstrichen sein muss, damit ein "längeres Zusammenleben" angenommen werden kann, ist umstritten. Insoweit werden Zeiträume von drei Monaten bis zu zwei Jahren als erforderlich angesehen (s. dazu Helms, FamRZ 2010, 1, 5, Fn. 44 m.w.N.).

Einer Entscheidung dieser Frage bedarf es im vorliegenden Fall nicht. Nach § 1600 Abs. 4 BGB setzt das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung nicht notwendig voraus, dass der rechtliche Vater mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat (vgl. Staudinger/Rauscher, BGB (2004), § 1600 Rz. 43; MünchKomm/BGB/Wellenhofer, 5. Aufl., § 1600 Rz. 13; Erman/Hammermann, BGB, 12. Aufl., § 1600 Rz. 17; Helms, a.a.O., S. 6). Dies führt nur dazu, dass er sich auf die Regelvermutung der Vorschrift berufen kann. Eine sozial-familiäre Beziehung kann auch bei kürzerem Zusammenleben bejaht werden, wenn dieses noch andauert und das Gericht die Überzeugung gewinnt, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat und in einer Weise trägt, die auf Dauer angelegt erscheint (BGH, Urt. v. 6.12.2006 - XII ZR 164/04, NJW 2007, 1677, Tz. 20). Für die Beurteilung, ob eine sozial-familiäre Beziehung vorliegt, ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (BGH, Urt. v. 6.12.2006, a.a.O., Tz. 17; v. 30.7.2008 - XII ZR 150/06, NJW 2008, 2985, Tz. 10).

Die Annahme des AG, es liege eine sozial-familiäre Beziehung vor, ist danach nicht zu beanstanden. Das AG hat sich bei seiner Würdigung auf die eingeholten Stellungnahmen des Amts für Soziale Dienste B. vom 5.10.2009 und die Stellungnahme des Jugendamtes des Landkreises O. vom 5.11.2009 gestützt. Nach den Feststellungen des AG hat ein Zusammenleben der Familie aufgrund verschiedener Meldewohnsitze zunächst auf der Grundlage von besuchsweisen Aufenthalten stattgefunden, seit Oktober 2008 leben die Beklagten und die Kindesmutter indessen in einer gemeinsamen Wohnung. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass der Beklagte zu 1. nicht gewillt ist, dauerhaft die Verantwortung für den Beklagten zu 2. zu übernehmen. Der Beklagte zu 1. hat im Gegenteil schon unmittelbar nach der Geburt die Vaterschaft über das Kind anerkannt und es bestand auch schon davor eine Partnerschaft mit der Kindesmutter.

2. Erfolgsaussichten der Berufung bestehen auch nicht deshalb, weil - wie der Kläger geltend macht - die Beklagten das Verfahren bewusst verschleppt hätten, um sich anschließend auf eine sozial-familiäre Beziehung zu berufen.

Der Umstand, dass die Kindesmutter und die Beklagten beim Gesundheitsamt nicht zur Probenabnahme erschienen sind, ändert nichts an dem Bestehen einer sozial-familiären Beziehung. Es kann dahin stehen, ob möglicherweise in einem solchen Verhalten eine unredliche Vereitelung des Anfechtungsrechts des Klägers gesehen werden kann, die nach Treu und Glauben die Aufrechterhaltung seiner Rechte zur Folge hat (vgl. Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB (2009), § 242 Rz. 234 ff.). Ein solcher Einwand muss schon deshalb ausscheiden, weil das Verhalten der Beklagten und der Kindesmutter nicht zu einer Vereitelung des Rechts des Klägers geführt hat.

Selbst wenn die Beklagten und di...

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