Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit der Auslieferung in die Türkei zum Zwecke der Strafvollstreckung wegen unklarer Haftbedingungen. Strafprozessrecht. Auslieferung. Türkei. unklare Haftbedingungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Angesichts der aktuellen politischen Lage in der Türkei nach dem Putschversuch im Juli 2016 besteht gegenwärtig die Besorgnis, dass die dortigen Haftbedingungen nicht den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen entsprechen.

2. Solange die bestehenden Zweifel an den Haftbedingungen in der Türkei nicht durch belastbare Zusicherungen und konkrete Informationen der deutschen und türkischen Behörden ausgeräumt werden können, steht der Auslieferung ein Hindernis nach § 73 S.1 IRG entgegen.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 25, 79 Abs. 3; EMRK Art. 3; IRG § 73

 

Tenor

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Bremen auf Anordnung von Auslieferungshaft gegen den Verfolgten wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Das Justizministerium der Türkei ersucht mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 21.06.2017 um die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung. Den aus der Türkei übersandten Auslieferungsunterlagen ist zu entnehmen, dass der Verfolgte mit Anklageschrift vom 16.06.2008, AZ: 2008/813, vor der 1. Kammer des Schwurgerichts in [...] wegen Beschaffens und Annahme von Betäubungsmitteln und Mitbringens von verbotenen Gegenständen in die Strafvollzugsanstalt angeklagt ist. Dem Verfolgten wird vorgeworfen, während seines Aufenthalts in der geschlossenen Strafvollzugsanstalt in [...] am 06.10.2006 ein Paket mit einer Jacke, in die insgesamt 22,73 Gramm Haschisch eingenäht gewesen seien, erhalten zu haben. Das Paket, das an den Verfolgten adressiert gewesen sei, sei sichergestellt worden. Das Schwurgericht in [...] erließ am 25.01.2017 einen als Steckbrief bezeichneten Haftbefehl gegen ihn, da er flüchtig sei.

Der Verfolgte befindet sich zurzeit auf freiem Fuß und hat von dem Auslieferungsersuchen keine Kenntnis.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat mit Datum vom 07.07.2017 beantragt, gegen den Verfolgten Auslieferungshaft gemäß §§ 15, 17 IRG anzuordnen.

II.

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Anordnung von Auslieferungshaft gegen den Verfolgten war abzulehnen.

Zwar erfüllt das mit Verbalnote vom 21.05.2017 (2017/36481099-Berlin BE/12539914) übermittelte Auslieferungsersuchen die Anforderungen des Art. 12 EuAlÜbk, auf dessen Grundlage in Verbindung mit dem Zweiten Zusatzprotokoll zum EuAlÜbk vom 17.03.1978 der Auslieferungsverkehr mit der Türkei stattfindet. So liegt das Ersuchen in beglaubigter Ablichtung sowie in beglaubigter Übersetzung aus der türkischen Sprache vor und beinhaltet neben dem Auslieferungsersuchen des Schwurgerichts in [...] mit Angabe von Tatzeit und Tatort sowie Darstellung der dem Verfolgten zur Last gelegten Tat auch den gegen den Verfolgten erlassenen Haftbefehl vom 25.01.2017.

Nach den hier vorliegenden Informationen kann der Senat jedoch nicht ausschließen, dass eine Auslieferung des Verfolgten gegen § 73 IRG verstoßen würde.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegen die deutschen Gerichte bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Auslieferung der verfassungsrechtlichen Pflicht, zu prüfen, ob die erbetene Auslieferung die (gemäß Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG) unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.05.2017 - 2 BvR 893/17, juris Rn. 27, NStZ-RR 2017, 226). Sie sind zudem - insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind - verpflichtet, zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard wahren. Gemäß Art. 25 GG sind bei der Auslegung und Anwendung von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts durch Verwaltung und Gerichte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten. Hieraus folgt insbesondere, dass die Behörden und Gerichte grundsätzlich daran gehindert sind, innerstaatliches Recht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, welche die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verletzt. Sie sind auch verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und sind gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken (vgl. BVerfG, a.a.O.). § 73 IRG nimmt dieses verfassungsrechtliche Gebot auf der Ebene des einfachen Rechts auf, indem er ausdrücklich bestimmt, dass die Leistung von Rechtshilfe unzulässig ist, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde (vgl. BVerfG, a.a.O.; BVerfG, Besc...

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