Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Rechtsweg eines Rechtsbehelfs eines gewerblichen Rettungsdienstleistungsunternehmens gegen die Direktvergabe von Rettungsdienstleistungen an gemeinnützige Rettungsdienstleister.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB lässt sich im 2. Halbsatz richtlinienkonform auslegen, sodass die Anforderungen gewahrt sind, die im Urteil des EuGH vom 21. März 2019 - C-465/17 (Falck) im Hinblick auf Art. 10 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU (Vergaberichtlinie) gestellt werden.

2. Die Träger des Rettungsdienstes sind in Niedersachsen landesrechtlich nicht gehindert, von der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB Gebrauch zu machen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG).

3. Die Direktvergabe von Rettungsdienstleistungen durch einen Träger des Rettungsdienstes an gemeinnützige Dienstleister fällt in den Anwendungsbereich der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB.

4. Zur hilfsweise beantragten Verweisung eines Verfahrens durch den Vergabesenat auf den Verwaltungsrechtsweg, wenn für den Vergabenachprüfungsantrag aufgrund der Bereichsausnahme des 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen nicht eröffnet ist.

 

Normenkette

GVG § 17a Abs. 2 S. 1, Abs. 5, § 17b Abs. 2; GWB § 107 Abs. 1 Nr. 4; NRettDG § 5 Abs. 2 S. 2; Richtlinie 2014/23/EU Art. 10 Abs. 8 lit. g; Richtlinie 2014/24/EU Art. 10 lit. h; VwGO § 40

 

Tenor

Der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen ist unzulässig.

Das Verfahren wird an das Verwaltungsgericht Lüneburg verwiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Antragstellerin, ein gewerbliches Rettungsdienstleistungsunternehmen, wendet sich im Wege des Vergabenachprüfungsverfahrens nach §§ 155 ff. GWB gegen die Beauftragung der beiden Beigeladenen mit Rettungsdienstleistungen, weil es sich hierbei nach ihrer Ansicht um eine rechtswidrige De-Facto-Vergabe handele.

Die Beigeladenen wurden von der Antragsgegnerin mit "öffentlich-rechtlicher" "Vereinbarung über die Übertragung der Durchführung des Rettungsdienstes und des qualifizierten Krankentransportes im Landkreis L." vom 21. Dezember 1993 mit Leistungen des Rettungsdienstes und qualifizierten Krankentransports beauftragt (Anlage BG 1, Anlagenhefter Antragsgegnerin). Mit Bescheid vom 1. Juli 2022 widerrief der Antragsgegner die einem anderen Dienstleister erteilte Genehmigung zur Durchführung von qualifiziertem Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes nach § 19 NRettDG, weil dieser die Einstellung des Krankentransportbetriebs mitgeteilt habe (Anlage BG 2, Anlagenhefter Antragsgegnerin).

Im Dezember 2022 beschloss der Antragsgegner gemäß Beschlussvorlage vom 6. Dezember 2022 die "5. Fortschreibung des Rettungsdienstebedarfsplans", die eine Erhöhung der - von den Beigeladenen geleisteten - Notfall- und Krankentransportvorhaltung vorsah (Anlage Ast 13 f., Bl. 94 f. der Vergabekammerakten).

Die Antragstellerin hat gemeint, insoweit lägen unzulässige De-Facto-Vergaben in Bezug auf die Beigeladenen vor. In dem Nachprüfungsverfahren hat sie in der Sache - primär - die Feststellung beantragt, dass sie durch das De-Facto-Vergabeverfahren von Rettungsdienstleistungen im Gebiet des Antragsgegners in ihren Rechten verletzt sei und geschlossene Verträge zwischen dem Antragsgegner und den Beigeladenen nach § 135 Abs. 1 GWB unwirksam seien.

Die Vergabekammer Niedersachsen hat mit Beschluss vom 13. Juli 2023 den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen (Anlage BF 1, Bl. 49 ff. d.A., und Berichtigungsbeschluss vom 19. Juli 2023, Anlage BF 5, Bl. 85 ff. d.A.). Es sei schon nicht der Rechtsweg zur Nachprüfung durch die Vergabekammer eröffnet, weil die von der Antragstellerin beanstandete Beauftragung der Beigeladenen unter die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB falle. Die Bereichsausnahme sei in Niedersachsen anwendbar, wie sich aus dem am 24. März 2021 in Kraft getretenen klarstellenden Zusatz in § 5 Abs. 2 Satz 2 NRettDG ergebe. Die Bereichsausnahme sei auch unionsrechtskonform. Sie verstoße nicht gegen Art. 10 lit. h) der Vergaberichtlinie, dessen Wortlaut nahezu unverändert übernommen worden sei. Lediglich der zweite Halbsatz von § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB stelle nach dem Urteil des EuGH vom 21. März 2019 (C-465/17) eine unzureichende Umsetzung des Unionsrechts dar; dieser Halbsatz sei jedoch im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich. Bei den von der Antragstellerin beanstandeten Beauftragungen der Beigeladenen handele es sich um direkte Beauftragungen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens. Diese fielen unter die Bereichsausnahme, da die Aufträge ohne jegliche Öffnung des Wettbewerbs gegenüber gewerblichen Rettungsdienstleistern an gemeinnützige Organisationen im Sinne des Art. 10 lit. h der Vergaberichtlinie erteilt worden seien, wie sich aus der vorgelegten Beschlussvorlage (Anlage Ast 13) ergebe. Dies genüge für die Anwendung der Bereichsausnahme. Ergänzend hat die Vergabekammer ausgeführt, dass der Nachprüfungsantrag - wenn d...

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