Leitsatz (amtlich)

1. Ein Bieter, der unklare oder widersprüchliche Anforderungen der Vergabestelle in vertretbarer Weise ausgelegt und sein (Neben-)Angebot auf diese mögliche Auslegung ausgerichtet hat, kann nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, sein (Neben-)Angebot entspreche nicht den Ausschreibungsbedingungen.

2. Bei der Gleichwertigkeitsprüfung geht es um eine Gesamtschau zahlreicher die Entscheidung beeinflussender und teilweise nur bedingt miteinander vergleichbarer bzw. zueinander ins Verhältnis setzbarer Einzelumstände). Bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit steht dem öffentlichen Auftraggeber ein weiter Beurteilungsspielraum zu.

3. Dem Auftraggeber ist auch nach der Neuformulierung des § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB der Zuschlag zu gestatten, wenn sein Rechtsmittel mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird.

 

Normenkette

VOB/A § 25; GWB § 121

 

Tenor

1. Auf den Antrag der Antragsgegnerin wird ihr der vorzeitige Zuschlag gem. § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB gestattet.

2. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Senat bis zum 25.6.2010 einen erfolgten Zuschlag mitzuteilen und einen entsprechenden Beleg darüber vorzulegen.

3. Der Antragstellerin wird aufgegeben, bis zum 30.7.2010 mitzuteilen, ob - und wenn ja, in welcher Form - sie ihren Nachprüfungsantrag aufrechterhalten will.

4. Termin zur Durchführung der mündlichen Verhandlung wird gegebenenfalls nach Ablauf der zu 2 und 3 gesetzten Fristen anberaumt.

 

Gründe

I. Mit EU-Bekanntmachung vom 11.6.2009 schrieb die Antragsgegnerin den Bauauftrag "Sanierung der N. Schleuse in E." in fünf Losen als offenes Verfahren aus. Nebenangebote wurden für die Lose I (Ingenieurbau), IV (Klappbrücke) und V (Straßenbau) zugelassen. Das Los I (Ingenieurbau) umfasst das Herstellen der Baugruben und der Gründungen, den Bau der Schleusenhäupter und der Schleusenkammer. Der geschätzte Wert der Gesamtmaßnahme beträgt 50 Mio. Euro netto, von denen auf das Los I (Ingenieurbau) 30 Mio. Euro netto entfallen.

Als einziges Zuschlagskriterium wurde der "niedrigste Preis" angegeben.

In den Vergabeunterlagen finden sich u.a. folgende Mindestbedingungen für Nebenangebote (s. Ziff. 0.5.2 der Allgemeinen Baubeschreibung, ASt 7 (Auszug), Bl. 78 f. in Bd. I der VgK-Akten):

"Nebenangebote für das Los I werden nur zugelassen, wenn sie

I. Die Grundrissplanung und Geometrie, wie sie im Masterplan und weiteren Bauplänen wiedergegeben ist, beibehalten,

II. keinerlei Auswirkungen auf die Konstruktion und Funktionalität der Lose II und III haben.

(...).

Die Gleichwertigkeit des Nebenangebots muss mit Abgabe des Angebotes durch entsprechende Nachweise (prüffähige statische Berechnungen, Massenberechnungen und Zeichnungen) belegt werden.

(...).

0.5.2.2 Berücksichtigung von Nebenangeboten; formale Anforderungen

Nebenangebote werden nur zugelassen, wenn sie als Gesamtangebot zu verstehen sind.

Nebenangebote, die eine verkürzte Bauzeit beinhalten, werden nur zugelassen, wenn sie alle fünf Lose beinhalten.

Nebenangebote werden nur gewertet, wenn sie folgenden Bedingungen entsprechen:

I. Sämtliche Vertragsbedingungen müssen erfüllt werden, insbesondere Verdingungsunterlagen, technische Vorschriften, Normen und Lastangaben.

II. Höhenangaben, Durchfahrtsbreiten und Wassertiefen der Bauwerke dürfen nicht verändert werden.

III. Die geforderten Materialqualitäten müssen eingehalten werden.

IV. Alle Elemente der technischen Ausrüstung und der Betriebseinrichtungen sind in ein Nebenangebot zu übernehmen.

V. Die geforderten Termine müssen eingehalten werden.

VI. Bei Verwendung von gebrauchtem Material (z.B. Spundwand) sind die Lieferbedingungen gemäß ZTV-W zu beachten. Entsprechende Gütenachweise und Nachweis über Mindestquerschnittswerte sind mit dem Nebenangebot vorzulegen.

(...)."

Neben der Allgemeinen Baubeschreibung enthalten die Verdingungsunterlagen für jedes Los zusätzliche Baubeschreibungen. Für das Los I ist dort vorgesehen (vgl. Ziff. 2.11.1.1 der zusätzlichen Baubeschreibung für Los I, Anlage ASt 8, Bl. 70 f. in Bd. I VgK-Akten):

"2.11.1.1 Baugrubenspundwände

Große Teile der Baugrubenspundwände dienen als äußere Schalung für den Beton des Außenhauptes. Diese Wände werden in Form von Kombinierten Spundwänden hergestellt.

(...).

Im Bereich der Durchfahrt werden Wellenwände angeordnet.

(...).

Die Wahl der angegebenen Spundwandprofile basiert auf einer Vorbemessung mit folgenden Randbedingungen:

(...).

Die Längen der Baugrubenspundwände richten sich nach den Ergebnissen der statischen Berechnungen nach den Erfordernissen der Wasserhaltung und Tiefgründung.

2.11.1.2 Spundwandkasten - Aufstellflächen

Die östliche Baugrubenbegrenzung wird in Form eines Spundwandkastens ausgebildet. Im Endzustand sollen die Spundwände am Außenhaupt ein einheitliches Bild bieten. Daher sind auch an den Außenseiten des Spundwandkastens Kombinierte Spundwände anzuordnen.

(...) Die westliche Aufstellfläche ist als tiefgegründete Schwerlastplatte vorgesehen (...). Auch hier ist für eine einheitliche Ansicht an der Außenseite eine Kombinierte Spundwand anzuordnen".

Fü...

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